Peter Stamm ist der erste Schriftsteller, den ich erst bei einer Lesung kennen lernte und der mich dann gleich so beeindruckte, dass ich ein Buch von ihm erwarb. Bei der Frankfurter Buchmesse – sie wissen schon, das Ereignis was meinen Kinokonsum minimierte und dafür meine Leseliste anschwellen ließ – gibt es die schöne Veranstaltungsreihe namens „Open Books“, bei der Autoren aus Ihren neuesten Werken lesen. Bei Peter Stamm war ich sofort von seiner Sprache begeistert, der Klarheit seiner Sätze, die nie umständlich wirken und dem Leser trotzdem genügend Raum für die eigene Fantasie lassen.
Mein erstes Buch von ihm war aber nicht ein Roman, schon gar nicht sein Neuster „Nacht ist der Tag“, dessen Story mir irgendwie langweilig erscheint, auch wenn ich die Begeisterung paradoxerweise über Peter Stamm, eben aus jenen vorgelesenen 10min der Lesung (die Lesung funktioniert nach folgendem Prinzip, 8 Autoren haben je 15min Zeit, 5min plaudert ein Moderator mit ihm und 10min wird aus dem Buch vorgelesen) gezogen habe. Ich entschied mich für „Wir fliegen“, 12 Erzählungen, veröffentlicht 2008, wobei diese Angabe vollkommen unerheblich ist, denn Stamms Erzählungen sind eher zeitlos, sie könnten heute genauso gut spielen, wie vor 20 oder 100 Jahren. In jeder der Erzählungen werden wir zumeist in Alltagssituationen der Protagonisten geworfen. Jedoch ist keine Geschichte schlichte Wiedergabe des tagtäglichen Lebens, sondern immer etwas Besonderes, ein Ausschnitt aus dem großen Spektrum des Daseins.
Was erwartet den Leser? In „Die Erwartung“ begleiten wir eine schon etwas ältere Kindergärtnerin bei der Erforschung, wer in der Wohnung über ihr wohnt. „Fremdkörper“ beschreibt das Ende eines Vortrages eines Höhlenfotografen. In „Drei Schwestern“ folgen wir einer jungen Frau, die endlich einmal für sich entscheidet und sich an der Kunstakademie in Wien anmelden möchte und fragen uns danach, wer Schuld an unserem Schicksal hat. Wir selbst? Die Umstände? Die Anderen? In „Die Verletzung“ folgen wir einem jungen Lehrer in ein Bergdorf, der dort hofft seine Jugendliebe wieder zu finden. „Der Befund“ ist die Geschichte des Wartens auf einen eben solchen und in „Wir fliegen“ begleiten wir eine junge Kindergärtnerin, die noch ein Rendezvous mit ihrem Freund hat, aber vor dem Problem steht, dass ein Kind nicht abgeholt wurde. „Videocity“ ist das Portrait eines Mannes der unter extremen Verfolgungswahn leidet. In „Männer und Knaben“ verfolgen wir einen Badegast im Freibad nach der offiziellen Öffnungszeit. Die Erzählung „der Brief“ erzählt uns von Betrug und Liebe eines schon lange verstorbenen Mannes an seiner Frau und in „Kinder Gottes“ können wir eine religiöse Liebesgeschichte miterleben. Der Erzählband endet mit „In die Felder muss man gehen“, einer Geschichte über den Sinn und Zweck des Malens.
Sicherlich sind nicht alle Geschichten gleich gut und je nach Geschmack wird die eine oder andere vielleicht mehr gefallen, aber was Peter Stamm hier vorlegt ist großartige Kunst. Jede Geschichte schwingt atmosphärisch, überzeugt durch eine klare Linie und erzählt von den großen Themen des Lebens im Kleinen, vom Streben nach Glück, Erfüllung und natürlich Liebe. Absolute Leseempfehlung.