Sie kennen das vielleicht. Sie haben einen Lieblingsautor und saugen begierig alles auf, was Sie von ihm bekommen können. Irgendwann einmal haben Sie dann fast alles gelesen, wägen ab, was wirklich klasse war und was immer noch gut zu lesen ist und stellen fest, dass Ihnen nur noch übrig bleibt, auf das neuste Buch des begnadeten Künstlers zu warten. Bei David Foster Wallace (DFW) ist dies ein gemischtes Vergnügen, denn seit seinem Ableben 2008, ist die Zufuhr neuer Texte arg begrenzt. Was nicht heißt, dass der Buchmarkt nicht noch ein paar Asse im Ärmel hätte. So kam 2011 der Erzählband „Alles ist grün“ heraus. Freilich sind dies nur dem deutschen Leser unvertraute Texte, denn sie stammen allessamt aus dem 1989 veröffentlichen Band „Girl with Curious Hair“, dass in der deutschen Übersetzung „Kleines Mädchen mit komischen Haaren“ zwar 2001 veröffentlicht wurde, allerdings nur in einer um 5 Erzählungen (daher der Hälfte!) gekürzten Version. Jetzt also Teil 2!
Da fragt man sich natürlich schon irgendwie, warum wurde das damals nicht gleich mit veröffentlicht? Sind diese Texte weniger gut? Was zeichnet denn einen guten Text aus und wer darf das entscheiden?
Interessanterweise ist die dominierende Geschichte des Buches mit dem Titel „Westwärts geht der Lauf des Weltreiches“ (192 der insgesamt 268 Seiten) auch in gewisser Weise ein Text über eben jenes gerade angedeutete Thema, wenngleich – und das ist bei DFW fast ja schon gesetzt – natürlich nicht nur. Wir haben hier eine Erzählung über eine Reise eines frisch vermählten Paares zu einem, von einer Werbeagentur, organisierten Treffen, aller jemals in einem Werbespot für Mc Donalds auftretenden Darsteller. Doch ist der Text eben auch ein Text (und mindestens einmal noch der Text über einen Text über einen Text, um der Metaebenen Genüge zu tun) über das Schreiben, über Erzählung und über Literatur an und für sich. Dabei springt DFW gern einmal zwischen Realitäten und Erzählebenen umher, die es dem Leser nicht immer einfach machen zu folgen, nur um dann wieder mit höchst vergnügliche und geniale Zeilen beliefert zu werden. Man wünscht sich hier schon fast eine Interpretationshilfe zur Hand, denn die fast 200 Seiten wirken so reich an Ideen, so vielfältig und so komplex, dass man teilweise den Überblick verlieren kann.
Die vielleicht schönste und am besten zu lesende Geschichte ist „Hier und dort“, dass dialogisch ein Paar in einer Fiktionstherapie beschreibt und sich dem Thema Angst, insbesondere vor dem Leben an und für sich und mit anderen Menschen, glänzend und eindrucksvoll nähert. Um ihnen ein Beispiel zu geben: „Ich habe keine Angst vor Neuem. Ich habe nur Angst davor, mich sogar dann allein zu fühlen, wenn jemand da ist. Ich habe Angst davor mich schlecht zu fühlen. Das ist vielleicht egoistisch, aber so fühle ich mich nun mal.“
In „Zum Glück verstand sich der Vertriebsrepräsentant auf HLW“ (wenn sie glauben die Abkürzung HLW wird erklärt, dann…) folgen wir einem medizinischen Zwischenfall in den Untiefen einer nächtlichen Tiefgarage und in „Sag nie“ erleben wir eine Familie und deren Reaktionen auf die Affäre eines verheiratenden Mannes mit der Freundin seines Bruders. Die Titelgeschichte „Alles ist grün“ jedoch ist so kurz, so dass wir hier nichts darüber gesagt werden soll.
Alles in allem ist „Alles ist grün“ ein streckenweise fantastisch erzählendes und höchst intelligentes Buch, dass nicht immer einfach zu lesen und daher nicht unbedingt zum Einstieg für DFW geeignet ist (das wird wohl einer der Gründe sein, warum es so verzögert herauskam) in einer – wie mir scheint – gewohnt brillanten Übersetzung von Ulrich Blumenbach.
So bleibt mir für die Lektüre DFWs, fast nur noch sein letzter Roman übrig, „Der bleiche König“, der am 7.11. in der deutschen Übersetzung erschien (ich stand an diesem Tag in einer dieser großen und doch immer kleiner werdenden Buchhandlungen, die ihren Zenit wohl schon überschritten haben und doch noch immer günstiger auf dem Weg liegen, als die kleinen Händler und überlegte mir lange und intensiv, das Buch zu kaufen, habe dann aus Gründen des rationalen Abarbeitens meiner Leseliste aber gesagt, dass ich momentan sowieso schon was von DFW lese und die Schlange der darauffolgenden Werke nicht gerade kurz ist und man sich erst mal die 30€ sparen sollte und habe dann eben nicht gekauft. Die Hauptfrage war dabei gewesen hat man etwas davon, sich ein Buch am Tag seiner Erscheinung zu kaufen, wie die vielen kleinen und großen Harry Potter Fans, die seiner Zeit Buchläden belagerten, wie man in den Nachrichten verfolgen konnte? Der Unterschied zu eben jenen wäre aber gewesen, dass die vielen HPFs noch in der Schlange zur Kasse schon die ersten Zeilen verschlungen hätten [okay, ich gebe zu, das habe ich auch gemacht, die ersten drei Seiten waren aber nur die einführenden Bemerkungen des Übersetzters gewesen und zu mehr hat dann die Öffnungszeit nicht gereicht], ich aber hätte warten müssen, den ein scheinbar unhinterfragbares Prinzip meiner Literaturaufnahme ist es, ein Buch nach dem anderen zu lesen. Ich hätte also DFWs „Alles ist grün“ aufgeben müssen, um DFWs „Bleichen König“ lesen zu können. Wenn man sich bewusst wird, dass man dieses Prinzip lieber nicht aufgibt, bleibt als sofortiges Kaufargument nur das konsumorientierte Besitzdenken übrig, dass Buch „haben“ zu wollen. Ein lästiges Gefühl, wenn man einmal länger darüber nachdenkt, aber auch ein sehr Zeitgemäßes und höchst Verlockendes) und den ich mit Sicherheit bald Platz auf meiner Leseliste einräumen werde, auch wenn es sich nur ein Fragment handelt, aber das stört bei Kafka ja auch niemanden.