Es gibt eigentlich nur wenig Gründe für mich, ein Fußballbuch eines Real Madrid Fans zu lesen. Dafür mag ich viel zu sehr Reals Erzfeind Barça und was noch mehr wiegt, ich hasse Real (im Regelfall bedingt das Eine das Andere). So ist dies nun mal als Fußballfan. Fußball zu schauen macht nur Freude, wenn man nach Gut und Böse aufteilt. Nun liegt mir aber doch Javier Marías „Alle unsere frühen Schlachten“ vor, ein Buch eines leidenschaftlichen Real Fans mit 34 kurzen Geschichten zum Thema Fußball. Das ich das Bändchen lese, hat mehrere Gründe, die summiert die Lektüre sehr lohnenswert erscheinen lassen. Da ist zum einen der wesentliche Fakt, das Marias sicherlich zu den besten Schriftstellern unserer Tage gehört und ich die Art seines Schreibens für sehr, sehr lesbar halte. Zum Anderen ist da die Tatsache, dass Real dieses Jahr nichts (oder anders formuliert: NULL TITEL; nada) gewonnen hat, was meinen Hass durch eine Prise Mitleid mildert. Und letztendlich ist so viel, was man im Fernsehen über Fußball sehen kann, oder was in Zeitungen, dem Netz oder Büchern geschrieben steht, ein solch oberflächiger Mist, dass ich mir gern mal etwas anschauen möchte, von dem man eine gewisse Reflexion erwarten kann.
Marías Buch besteht aus zahlreichen Texten aus den Jahren 1992 bis 2001. Diese Texte werden einzig von der Klammer Fußball zusammengehalten, behandeln dann recht unterschiedliche Themen, wie Weltmeisterschaften, Spielstil, Real Madrid, Jubel und Trauerszenen von Spielern auf dem Platz, was es heißt ein Fan zu sein oder die Veränderung des Fußballs über die Jahre. Das die Texte nun schon etwas in die Jahre gekommen sind, ist zum einen etwas ärgerlich, denn man wüsste eigentlich gern wie Marias heute über die spanische Nationalmannschaft denkt, der er zu Recht für jene Zeit Erfolglosigkeit vorwirft und ein bisschen mit anklingen lässt, dass zu wenige Real Spieler im Team wären. Mich interessiert schon brennend wie ein Real Fan, den Erfolg Spaniens, der ziemlich deutlich auf die Implementierung des Barça Stils mitsamt einer Vielzahl von Barça Akteuren fußt, bewerten würde. So wirkt der Text ständig etwas inaktuell. Aber daraus ist auch eine Qualität zu ziehen, denn so wird einem noch einmal deutlich, welche Veränderungen der Fußball in den 1990er Jahren erlebt hat (Bosman-Urteil, eine größere Spezialisierung der Spieler gepaart mit mehr Athletik im Spiel). Man kann beispielsweise gut erkennen, warum Jupp Heynckes nach Reals Champions League Triumph 1998 trotzdem gefeuert wurde (was einem heute unerklärlich erscheint).
Insgesamt ist Marías ein Fußballromantiker, ein Fan, für den Fußball noch mehr ist als eine hochspezialisierte Entertainmentindustrie. Konnte man in den 1990er Jahren noch äußern, dass zu viele ausländische Spieler über die Bedeutung einer einheimischen Liga zu wenig wissen und deshalb immer auf einen Stamm inländischer, wenn möglich regionaler Spieler gesetzt werden muss, so ist diese Feststellung fast vollkommen obsolet geworden. Es interessiert heute fast keinen Fan mehr, ob ein Spieler aus derselben Stadt wie der Verein ist, aus demselben Land stammt oder vom selben Kontinent kommt. Entscheidend ist „auf‘m Platz“ und wenn die Mannschaft gewinnt, dann ist das Gut. Ich glaube das war schon immer so, nur das es heute eine viel größere Durchmischung des Spielerarbeitsmarktes gibt. Und mit dieser Durchmischung hat sich auch eine viel größere Professionalisierung der Spieler ergeben. Es ist egal geworden, von wo man herkommt, solange man die Aufgaben für seinen Verein erfüllt. Gerade Barça ist dafür ein Musterbeispiel. Zwar kommt der Großteil der Spieler aus der eigenen Jugend, aber nicht die Herkunft ist dabei wichtig (Messi beispielswiese ist Argentinier), sondern das perfekte Erlernen eines Systems, dass dann in der Mannschaft gespielt wird. (in diesem Zusammenhang könnte man stundenlang über Barças Verpflichtung von Neymar reden, dessen Einkauf sowohl ein brillanter Schachzug, als auch ein Millionengrab sein könnte und ich schätze mal die Chancen stehen 50-50, was ich für ein nicht unbeträchtliches Risiko halte).
Weiterhin fällt bei Marias Text auf, dass er mit zunehmender Zeit, eine wenig in einen Fußballverfallston übergleitet, so nach dem Motto: früher war alles besser. Das zeigt sich recht deutlich bei den Texten zur WM 1998 (sehr amüsant übrigens, dass er Frankreich niemals den WM Titel zutraut, einzig allein wegen Barthez und seiner Erscheinung). Hier greift er ein wenig der Fußballrhetorik von Fangruppen der letzten 15 Jahre vorweg, die sich über die Kommerzialisierung des Sports beschweren, wenngleich Marias eher generell über die sportliche Vorstellung spricht. Das alles scheint mir aber eher diffus, insbesondere wenn man bedenkt, dass er taktische Spielweisen nie beleuchtet und ebenso die Entwicklung des Spiels nie näher betrachtet. Vielmehr versteigt er sich in einer fast schon als dümmlich zu bezeichnenden Behauptung, dass der Spielstil einer Mannschaft von den Fans vorgegeben wird (hat Klinsmann denn die deutschen Fans ausgetauscht, bevor er die Nationalmannschaft runderneuert hat?). Was er damit meint, ist wohl die Zuschreibung eines Spielstils zu einer Mannschaft und die Vorstellung, dass dies etwas mit geografischen oder kulturellen Faktoren (außerhalb des Spiels) zu tun hat. Aber, und gerade hier sollte er als Schriftsteller es wohl besser wissen. Es ist ja erst die Erzählung über das Spiel, die einen Spielstil quasi im Nachhinein festlegt. Ich will damit gar nicht sagen, dass verschiedenen Mannschaften nicht mit verschiedenen Spielstilen spielen und nicht jede Mannschaft eigene Stärken hat, die sie in Form eines taktischen Grundgerüstes versucht auszuspielen, aber für den Fußball entscheidend ist doch, wie man das Spiel danach deutet, denn letztendlich bleiben von einem Spiel rein faktisch immer nur zwei Zahlen stehen: Tore Heim versus Tore Gast. Und erst danach beginnt das findige Aushandeln, was man jetzt gerade gesehen hat und wie dies zu bewerten ist und dabei greifen wir natürlich gern auf kulturelle Zuschreibungen und all das zurück, was man vereinfacht Traditionen nennen kann und genau davon lebt das, was wir Fußball nennen.
Interessant ist auch, dass Marías wirtschaftliche Faktoren in seinem Buch vollkommen ausblendet. Sicherlich macht er dies absichtlich, denn er will über das Spiel schreiben, nicht aber über den finanziellen Überbau, jedoch wird dieser auch schon in den 1990er Jahren immer bedeutender und man darf auch nicht vergessen, dass es gerade Real Madrid ist, die damals ihre „Galacticos“ Kampagne starteten, daher der Versuch mit viel Geld möglichst alle Superstars der Welt zu kaufen. Das Fußball immer mehr von finanzieller Potenz geleitet wird, zeigt sich nicht zuletzt in den letzten Jahren, in welchem eigentlich immer nur Mannschaften aus den vier großen Fußballnationen (Italien, England, Spanien und Deutschland) die Champions League gewinnen können (in den letzten 20 Wettbewerben gab es mit dem FC Porto nur eine einzige Ausnahme). Auch hätte natürlich ein Blick interessiert, wie man als Fan eines finanzstarken Clubs diese Entwicklung sieht.
Trotzdem ist Javier Marías „Alle unsere frühen Schlachten“ ein äußerst lohnenswertes Buch und das nicht nur für Fußballfans, sondern auch für Menschen, die ein Interesse am Autor haben. Denn er erlaubt hier einen tiefen Blick in sein Leben, was das Buch ganz wundervoll persönlich macht, äußerst pointiert und humorvoll geschrieben und trotz aller Liebe zu Real ist es doch ein Buch über die Faszination des Fußballs im Allgemeinen.