Originaltitel: „Every Love Story is a Ghost Story: A Life of David Foster Wallace“ | deutsche Übersetzung von: Eva Kemper | 2014 bei Kipenheuer & Witsch erschienen | 502 Seiten
Ich kann mich noch an so viel erinnern. Ich sitze im Zug und lese zum ersten Mal in meinem Leben David Foster Wallace, oder DFW[1], wie seine, mit einem unsichtbaren Band gemeinsamer Begeisterung verbundenen, Fans ihn nennen.[2] Ich kann mich auch daran erinnern, wie ich den „Unendlichen Spaß“ begann und ich erinnere mich, wie ich die letzten Zeilen las, nur um sofort wieder mit der ersten Seite des Buches neu zu beginnen, doch ich wusste in diesem Moment, dass es das beste Buch war, das ich je gelesen hatte. Ich erinnere mich daran, am Tag des erscheinen des „Bleichen Königs“ DFWs unvollendeten letzten Roman in einer Buchhandlung gesehen zu haben.[3] Wie ich verführt wurde von der Idee, das Werk an jenem symbolischen Tag gleich erwerben zu müssen, wie es ein Fan nun einmal tun müsste, aber mir klar wurde, dass ich ihn nicht gleich lesen würde (wie es ein richtiger Hardcore Fan eigentlich auch tun müsste[4]), ließ ich davon ab. Es gibt so viele Erinnerungen, an die vielen Stunden mit seinen Texten. Und da es keine neuen Texte mehr von ihm gibt, lese ich nun etwas über ihn, denn wenn ich mal meine Biographie schreiben sollte, dann ist nach Don DeLillo, DFW – chronologisch gesehen – so etwas wie der zweite große Autor meines Lesens.[5] [6]
D.T. Max steht in seiner Biographie über David Foster Wallace vor einer sehr herausfordernden Aufgabe, denn er muss uns (größtenteils wohl Fans von DFW) eine (Lebens-) Geschichte über einen der größten Geschichtenschreiber der letzten Jahrzehnte schreiben. Und das wirft Fragen und Erwartungen an das Buch auf! Welcher Mensch könnte sich hinter solchen genialen Texten verbergen? Wer steht hinter dieser Präzession der Sprache, hinter den zahlreichen Fremdwörtern, den Fußnoten und der fast permanenten Enttäuschung des Lesers darüber, an ein Ende eines Erzählstranges zu gelangen und ihm im Dunkeln zu lassen, wie der Teil der Geschichte wirklich ausgeht? Zur Beantwortung dieser Fragen, nutzt Max ein Verfahren, was klug, aber irgendwie ernüchternd ist. Er sammelt einfach alles was er über DFW findet, versucht alle Weggefährten zu befragen und türmt einen riesigen Haufen an Informationen, Zitaten und Begebenheiten auf, die er auswertet und dann ganz chronologisch aufschreibt. Das ist ein bisschen so, wie wenn sie auf einem Date einen anderen Menschen kennenlernen möchten, und dieser Mensch liest ihnen seinen Lebenslauf in Stichworten vor. Man fühlt sich irgendwie informiert, aber es fehlt die Linie, das Gespür, was diesen Menschen ausmacht oder vielleicht anders gesagt, es fehlt der Ton hinter den Noten. Dazu kommt hinderlicherweise, dass Max Namen von Personen fast immer nur einmal kurz einführt und dann 5, 10 oder auch mal 100 Seiten später wieder anspricht, nur hat man an dieser Stelle leider (vor der Vielzahl anderer Namen) vergessen, wer genau diese Personen waren und welche Rolle sie bisher spielten. Das führt dann ein wenig beim Lesen dazu, dass man dem Biographen dabei folgt, wie er Ordnung in seine Informationen bringt, aber weniger, wie er uns die Person David Foster Wallace näherbringt.
Einen großen Raum wird DFWs literarischem Schaffen gegeben. Wie entstand der „Unendliche Spaß“, welche Probleme machte „Der Bleiche König“, welchen Erfolg hatten die Geschichten aus „Kleines Mädchen mit komischen Haaren“ und wie reagierte die Fachwelt und das Publikum auf seine Bücher. Das ist erhellend und beleuchtet die Hintergründe, Motivationen und Intentionen, die hinter seinen Texten stand. Gleichfalls bemerkenswert sind seine Projekte, die er nie fertigstellte, wie beispielsweise ein Buch über Pornographie. Max zeichnet uns ein Bild von Wallace, das an vielen Stellen mehrdeutig zu sein scheint, von einem von Depressionen und Angststörungen geplagten Mann, der zeitweise genauso alkohol- und drogenabhängig war, wie promiskuitiv (nicht zeitgleich!), der ein begnadeter Dozent für Literatur sein konnte, aber auch wie ein arroganter, besserwisserischer und wetteifernder Pinsel, mit einer Faszination für Grammatik auftreten konnte. Ein Bild, das sich auch – wenngleich zurückhaltend – um seine psychischen Probleme dreht [7] und letztendlich auch über seinen Suizid berichtet.[8] Das macht Max Biographie – für einen DFW Fan – zu einem lesenswerten Stoff, der allerdings sprachlich so weit hinter dem beschriebenen Gegenstand zurückhängt, dass man etwas wehmütig ist.
Aber vielleicht will ich gar nicht mehr über DFW erfahren, vielleicht ist es gut, nur ahnen zu können, wie er wirklich war und mir ein Bild aus seinen Texten zu machen und nicht so sehr daran zu denken, welche Gedanken er mit seinen Worten verband, sondern was ich mit seinen Worten verbinde, denn im Titel dieser Biographie von D.T. Max über meinen Lieblingsautor steckt eine fast unumstößliche Wahrheit; jede Liebesgeschichte ist immer auch eine Geistergeschichte!
[1] Es wäre fast schon ein Sakrileg, diesen Text ohne Fußnoten zu veröffentlichen, denn DFWs Texte liebten Fußnoten, was übrigens seinen Roman „Unendlicher Spaß“ zu einem Buch machte, das durch seinen ständigen Verweischarakter ideal zum beginnenden Internetzeitalter passte, was Wallace keinesfalls intendierte. Er selbst war dem Internet – besonders anfangs – eher skeptisch gesonnen und das Internetzeitalter hatte beim Schreiben des 1996 veröffentlichten Romans schlicht noch keine Rolle gespielt.
[2] Wenn man als DFW Fan auf einen anderen DFW Fan trifft, schnürt das schnell ein gemeinsames soziales Band, welches aus einer Mischung aus Bewunderung für den Autor, kultureller Selbstrepräsentanz (oder sollte ich kulturellem Status schreiben?) und etwas Stolz auf das eigene Leseverhalten besteht.
[3] Das Auffinden des Buches, war meine einzige Motivation an diesem Tag die Buchhandlung zu betreten.
[4] Wobei ein Hardcore-Hardcore Fan Wallace letzten Roman eigentlich im englischen Original hätte lesen müssen, etwas was ich meinen Englisch-Kenntnissen nie wirklich zugetraut habe.
[5] Wenn man eine biographisch-chronologische Leselinie zeichnen wöllte, würde diese vielleicht: DeLillo – Wallace – Borges – Mitchell lauten, wäre aber eigentlich ärgerlich verkürzt, weil sie Autoren weglassen würde, von denen ich sehr viel las und die mich begeisterten – um es parathetisch hier einzuführen (weil Word keine Fußnoten in Fußnoten erlaubt); T.C. Boyle, Kehlmann, Auster, Marías, Pynchon oder Martin Walser, … – aber vielleicht ist dies so bei Biographien, man nimmt einige Highlights heraus und poliert diese schön auf, um etwas über sich zu sagen, weil man nie alles sagen kann und hofft, dass das was man sagte, irgendeinen Kern trifft.
[6] Und ja, natürlich ist die hier versuchsweise eingebaute Referenzialität – in einer Beschreibung einer Biographie, über die eigene Biographie zu schreiben – an dieser Stelle gewollt, denn das ständige Verweisen von Ebenen, die auf andere Ebenen verweisen, ist eine große Leidenschaft in den Schriften von DFW und es erübrigt sich fast zu erwähnen, dass ich diese Leidenschaft nicht nur bewundernswert finde, sondern gleichfalls teile.
[7] Hier mischt sich neben der menschlichen Tragik, insbesondere die nicht zu stillende Gier (bei gleichzeitiger Enttäuschung) etwas Neues vom Meister zu lesen. Das ist vielleicht auch ein Faszinosum an DFW; das Interpolieren davon, was noch hätte kommen können, bei gleichzeitiger Impotenz auch nur eine Idee davon entwickeln zu können, was dies hätte sein können.
[8] Ich bin hier nicht sicher, wie ich das Vorgehen der Biographie finde. Auf der einen Seite benutzt sie Wallace psychische Krankheit als Klammer seiner Lebensgeschichte, spart sie aber über viele (hunderte) Seiten dann wieder aus. Wir lesen nicht die Geschichte wie eine Krankheit einen Autor prägte, sondern wie eine Krankheit irgendwie seit seiner Teenagerzeit da war, dann eigentlich egal, oder besser hintergründig hinter anderen Problemen wurde, bis sie so fundamental einschlug, dass sie alles zerstörte. Dieses Vorgehen ist seriös und ich kann es nur gutheißen keine Spekulationen oder gar pseudo-medizinische Bulletins zu lesen, aber für die Figur DFW bleibt sein Suizid immer irgendwie prägend und man kann sich als Fan ehrlicherweise nicht der Frage entziehen, was tief in ihm wühlte, erfahren zu wollen. Es ist letztendlich wohl sehr lobenswert, dass dieser voyeuristische Impuls nicht von D.T. Max gestillt wurde.