„Tsonduko“ ist ein japanisches Wort, welches einen Sachverhalt darstellt, den Sie – geneigter Leser – vielleicht auch kennen und der bei mir in den letzten Jahren quasi zu einem Problem wurde. Tsunduko beschreibt den Vorgang des Erwerbes von Büchern, ohne dass diese dann zu Hause auch gelesen werden und sich quasi unberührt stapeln. Im Zuge des Jahreswechsels habe ich mir zwei Aufgaben für das Jahr 2022 gestellt und eine davon war meinen Tsoduko-Stapel kleiner werden zu lassen, oder um es anders zu formulieren, mehr Bücher zu lesen, als zu kaufen.
Selbstverständlich führe ich darüber Buch! Jetzt zeigte mir die Buchführung, dass ich gar nicht mal so viel lese, wie ich dachte, was auch daran liegen könnte das die meisten Bücher, die ich in diesem Jahr zur Hand nahm, ziemlich lange Texte waren. Um meinen Tsonduko Stapel[1] nachhaltig zu verkleinern, empfahl es sich zu etwas dünneren Ausgaben zu wechseln. Und da war das kleine Reclam-Bändchen mit zwei Kurzgeschichten von Nikolaj Gogol mir gerade recht.
Erworben wurde es anlässlich der wirklich guten Ausstellung zu romantischer Kunst zwischen Moskau und Dresden, welche im letzten Jahr in den Kunstsammlungen zu bestaunen war und erst da, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, entdeckte ich Gogol für mich, einen der wichtigsten Vertreter russischer Literatur, nicht nur des 19. Jahrhunderts.
Die beiden Geschichten spielen in St. Petersburg, um das Jahr 1830 herum und zählen zu den Meisternovellen des Autors, dessen Zusammenhang in der ausführlichen Beschreibung der gesellschaftlichen Zustände der damaligen russischen Hauptstadt liegt. Klare Beamtenhierarchien zeichnen ein starres und geordnetes Bild einer nicht gerade sehr lebenswert herüberkommenden Stadt, in welcher sich der Starke für gewöhnlich nicht um den Schwachen kümmert. „Der Mantel“ stellt den Behördenschreiber Baschmatschkin, einer eher unauffälligen und zurückhaltenden Person, in den Handlungsmittelpunkt, der feststellen muss, dass sein Mantel kaum mehr den klimatischen Verhältnissen, geschweige denn den modischen Notwendigkeiten St.Petersburg standhält. Und so benötigt er einen neuen Mantel, der ihm jedoch einiges kosten wird.
In „die Nase“ findet der Barbier Iwan Jakowlewitsch im Frühstücksbrot eine Nase, die Kollegienassessor Kowaljow gehört, wie er feststellen muss, denn seine Nase kennt Jakowlewitsch recht gut, schließlich rasiert er den Mann zweimal die Woche. Kowaljow ist wegen des Verlustes sehr verärgert und fühlt sich berechtigterweise entstellt und macht sich daran seine Nase wiederzufinden.
Während der „Mantel“ eine eher konventionelle Geschichte über Status, Ansehen, Mode und die Existenz ist, ist die „Nase“ eine fast schon surrealistische Geschichte, welche die groteske Situation des Verlustes der Nase, wie den einer Suche nach einem gestohlenen Gegenstand beschreibt. Dabei bleibt Gogols wirkmächtige Sprache in Erinnerung, der in seinen langen und verästelten Sätzen immer wieder sehr humorvoll ist und der auch immer wieder mit dem bewussten Einbauen der Perspektive des Erzählers mit der Geschichte bricht. Zwei kleine, aber wundervolle Geschichten zum Einstieg in die Weltliteratur Russlands.
[1] Sie dürfen sich das natürlich nicht bildhaft als einen Stapel vorstellen. Selbstverständlich besitze ich Bücherregale in welchen unter diversen Ordnungskriterien die Bücher fein säuberlich einsortiert werden. Ich hatte es ja an der ein oder anderen Stelle schon einmal erwähnt, ich mag einfach gut gefüllte Bücherregale, sie geben jeder Wohnung erst einen eigenen Charme.