Erschien 2017 bei Fischer | hier vorliegend als Fischertaschenbibliothek (2020) mit 762 Seiten
Im letzten Herbst war ich begeistert von Ingo Schulzes 2020er Roman „Die rechtschaffenden Mörder“ und so erwarb ich mir für diesen Sommer, die sehr handliche Fischer Taschenbibliothek Ausgabe (weil diese vermeintlich gut in meine Fahrradlenkertasche passen würde, was sie übrigens nicht wirklich tat) des Vorgängerwerkes „Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst“.
Schulzes 5.Roman porträtiert einen Waisenjungen in der DDR, der Mitte der 1970er im zarten Alter von zehn Jahren feststellt, dass sein geliebter Heimdirekter Paul Löschau nicht mehr da ist. Seine Sicht der Dinge über die Welt hat Peter von ihm, nämlich den Grundsatz, für die Erreichung der besten aller Gesellschaften leben und arbeiten zu wollen. Diese kommunistische Intention wird nicht überall in der DDR gelebt, wie Peter Holtz im Laufe seiner Jugend mehr und mehr feststellen muss. Machtstreben zum Wohle des eigenen Fortkommens und insbesondere der schnöde Mammon, lassen die Menschen fortrücken von einem wirklichen Zusammenleben. Das möchte Peter angehen und ändern! Eher durch Zufall verlässt Peter das Kinderheim und wird von Beate und Hermann adoptiert. Zuerst sehr staatshörig (weil immer noch der Meinung, die DDR würde den richtigen Weg zur guten Gesellschaft gehen), findet Peter schnell heraus, dass die DDR nicht wirklich so funktioniert, wie er sich das vorstellt und findet im Christentum neuen Halt. Dann kommt die Wende, in welcher er endlich die Chance für wahre Veränderungen sieht, doch was hier mit Ostdeutschland passiert, ist alles andere als Peters Traumwelt und sein größter Feind rückt ihm unaufhaltsam immer näher, das Geld!
Ingo Schulzes Schelmenroman über einen Weltverbesserer, dessen Ziel es ist, die Gesellschaft zum Guten zu ändern, ist eine Satire über die DDR, die Wende und das wiedervereinigte Deutschland. Besonders der erste Teil, Peters Leben in der DDR ist eine köstliche Lektüre über Idee und Realismus des Lebens im „deutschen Arbeiter- und Bauernstaat“. Diese satirische Wucht verringert das Buch dann etwas und man könnte fast sagen, mit dem Ernst der Wende, wird auch dieses Buch ernster. Doch es verliert nicht an Aussagekraft, denn in der Figur von Peter Holtz wird dem Leser die Frage präsentiert, wie ein kollektives Glück erreicht werden kann. Denn die Hauptfigur saugt beinahe begierig die Ideologien der jeweiligen Gesellschaftsformen auf, aus denen er herausliest, welche Einstellungen für ein gelungenes Zusammenleben der einzelnen Individuen benötigt werden, um zur besten aller möglichen Welten zu führen.[1] Doch Peter muss immer wieder feststellen, dass sein großes Ziel, eine bessere Welt zu erreichen, nicht möglich ist.
Schulzes Roman ist dabei kein Wenderoman der konventionellen Sorte[2], sondern ein Abgleich der Gesellschaftssysteme in ihren kollektiven Heilsversprechen, aufgezeigt an einem altruistischen Menschengeist. Um diese Romanidee etwas auszubreiten muss ich leider etwas spoilern. Der Clou des Romans ist es, dass Peter umso unglücklicher wird, umso mehr er finanziellen Erfolg hat. Man kann damit den Roman in einige Richtungen interpretieren. Ich würde jedoch Deutungen nicht zustimmen, die verlautbaren, dass man in kapitalistischen Gesellschaften individuell nicht glücklich werden kann, weil alles vom Geld bestimmt ist (auch dem Gegenteil, dass man in sozialistischen Systemen individuell immer unglücklich sein muss, würde ich als Romaninterpretation nicht zustimmen). Das ist als Deutung des Romans nicht ausreichend. „Peter Holtz“ ist mehr eine Ideologiestudie kollektiver Heilsversprechen der beiden großen Weltanschauungen des 20.Jahrhunderts. Schulze thematisiert damit den Geist der Wendezeit,[3] der sich nach der Frage richtete, wie erfolgreiches und gutes Zusammenleben einer Gesellschaft aussieht. Diese Frage ist in den 2020er Jahren zurückgetreten und gilt in gefühlten Krisenzeiten als Luxusüberlegung, einer heutigen Epoche, die mehr das Verteidigen von kulturellen und politischen Wertemustern oder die Frage des Überlebens der Menschheit thematisiert. Insofern könnte man den Roman als überholt darstellen, doch das ist er absolut nicht. Denn dieser Schelmenroman zeigt einen Menschen, der für eine bessere Gesellschaft kämpft und der seine Definition der besseren Gesellschaft immer auch aus dem jeweiligen zeitgeistigen Reservoir von dem abschöpft, was als „gut“ gelten kann. Insofern kann man Peter Holtz auch als einen Aktivisten für das Gute bzw. Für-Gut-Gehaltene bezeichnen, jemanden der gegen Ungerechtigkeit kämpft, allerdings auch jemanden der sich eher den Mitteln der Kunst bedient als des zivilen Ungehorsams heutiger Provenienz.
[1] Die glückliche Welt Vorstellung der DDR ist, die Ideologie den Sozialismus irgendwann in den Kommunismus zu verwandeln, indem alles individuelle arbeiten, arbeiten für alle ist. In der wiedervereinigten BRD ist es die Ideologie, dass das Streben nach individuellem Glück, letztendlich zur bestmöglichen und reichsten Gesellschaft führt.
[2] Wenn konventionell bedeutet, die individuellen Schicksale einer Systemtransformation zu beschreiben.
[3] Wobei hier Wendezeit weiter gefasst werden muss als die Jahre 89/90. Es betrifft vielmehr einen Zeitraum, der sich schon in den 1980er Jahren in der DDR startet und der auch noch viele Jahre nach der Wiedervereinigung noch existiert.