Jahr: 2020 | Regie & Drehbuch Charlie Kaufman | Länge: 134min | Surreales Drama
Als großer Freund von Charlie Kaufman war ich sehr erfreut, auf Netflix einen Film von einem der genialsten Drehbuchautoren[1] der letzten 25 Jahre zu entdecken. Das dieser Film bereits 2020 herauskam und direkt bei Netflix veröffentlicht wurde und erst jetzt von mir gesehen wurde, zeigt leider nicht nur viel über meinen übersichtlichen Konsum der Videoplattform, sondern auch über ein gewisses kinematographisches Erlahmen.[2] Aus dieser Beobachtung resultierend und grob verkürzt – und mit einem gewissen heideggerschen Impuls – könnte man das Leben (also nicht unbedingt nur mein eigenes) als Dasein zur Erschlaffung bezeichnen. Jedoch sollte vor falschem existentiellem Selbstmitleid gewarnt werden, dieses ist meistens nicht nur falsch und etwas selbstgerecht, es ist auch langweilig. Aber Leben – gutes Stichwort – weil wir damit wieder bei Charlie Kaufmans Film sind.
Eine junge Frau (Jessie Buckley) möchte die nicht mal zwei Monate dauernde Beziehung mit ihrem Freund Jake (Jesse Plemons) beenden. Dieser Gedanke hat sich in Ihrem Kopf vergraben und lässt sie nicht mehr los. Trotzdem stimmt sie zu, Jake auf einer winterlichen Fahrt zu seinen Eltern zu begleiten. Irgendwo im verschneiten Nirgendwo angekommen, stellen sich Jakes Eltern als recht wunderlich heraus. Die Mutter (Toni Colette) hat eigentümliche Stimmungsschwankungen und der Vater (David Thewlis), mit seinem aufdringlichen Blick, ist noch absonderlicher. Während die junge Frau Anrufe auf ihrem Handy von Teilnehmern erhält, die ihren Namen tragen, changiert dabei nicht nur ihr Name und ihre Profession mit zunehmenden Filmverlauf, auch die Geschichten der Beziehung des bald sich scheidenden Paares verschwimmen immer mehr und die Eltern erscheinen in den unterschiedlichsten Alterszuständen. Und da ist noch ein Hausmeister (Guy Boyd) einer riesigen Highschool.
Auf den ersten Blick ist bei „I’m Thinking of Ending Things“ alles klar, wir erleben, wie ein Mensch, der sich mit dem Gedanken trägt, einen anderen Menschen zu verlassen. Doch die Absicht haben eine Beziehung zu beenden ist auch damit verbunden zu überdenken, was man eigentlich an dem Menschen positiv findet und vielleicht auch zu projizieren, wie ein Zusammenleben, das man eigentlich abwählen möchte, dann doch aussehen könnte. „I’m Thinking of Ending Things“ spielt diese Vorstellungen durch, aber es bleibt nicht dabei und der Film schweift thematisch weiter aus, in einen nicht immer leicht zu verfolgenden Rausch von Selbstgesprächen, in Diskussionen, ins Traum- oder gar Alptraumhafte, später auch in eine Melange von Musik und Tanz. Dabei bedient der Film viele amerikanisch-kulturellen Referenzen und er besteht aus einem hervorragenden Ensemble, aus dem vielleicht Jessie Buckley am stärksten in Erinnerung bleibt.
Von allen Kaufman Filmen[3] ist dieser „I’m Thinking of Ending Things“ der am meisten mit dem Surrealen spielenden Streifen, was ihn gerade gegen Ende hin, auf der einen Seite teilweise wunderschön macht (beispielsweise die Tanzszene in der Highschool), auf der anderen Seite einen auch ratlos zurücklässt. Das Drehbuch basiert auf einen Roman von Iain Reid (der auch am Skript des Filmes mitarbeitete). Der Roman jedoch – mutmaßlich von mir weitergegeben, denn gelesen habe ich das Buch nicht – besitzt einen klareren Ausgang mit einem deutlich dargestellten Twist. Der Film ist weitaus offener. Nimmt man nun aber diese Offenheit der Frage beiseite, wer hier was beendet, dann bleibt ein Film über Vergänglichkeit, Liebe, Einsamkeit, Wünsche und die (notwendigen) Beziehungen in unserem Leben. So komme ich zu einem gemischten Fazit. Auf der einen Seite ist mir „I’m Thinking of Ending Things“ teilweise zu rauschhaft, Symbol und Referenz-beladen, vielleicht ist aber genau das ein sehr guter Grund den Film nochmals zu schauen.
[1] Außer dem Stop-Motion-Film „Anomalisia“ (den ich auf meine imaginären Sehliste registriere) habe ich alles von Kaufman gesehen, wobei er mehrheitlich nur für die Drehbücher ziemlich genialer Filme wie „Being John Malkovich“ oder „Vergiss mein nicht“ verantwortlich war.
[2] Ich habe mir fest vorgenommen, dies zukünftig zu verbessern.
[3] Die alle immer einen Hang zum Surrealen haben, oder zumindest eine nicht-reale Idee beinhalten, um Realität besser zu verstehen.