Originaltitel: „È stata la mano di Dio“ | Jahr: 2021 | Regie & Drehbuch: Paolo Sorrentino | Coming-Up-Age Film | Länge: 130min | Location: Neapel in den 1980er Jahren
In Zeiten der Fußballweltmeisterschaft müsste ich eigentlich jeden Tag vorm Fernseher sitzen. Aber dieses Mal ist es anders. Nicht unbedingt, weil ich mich mit Freude an gemeinschaftlichen symbolischen Moralvorstellungen beteilige, sondern eher aus einer sich schon seit Jahren in Verblassung befindlichen Faszination des Fußballs als Unterhaltung (früher hätte ich argumentiert, als „Kultur unserer Tage“). Nun sah ich die Möglichkeit den neustens Paulo Sorrentino Film[1] zu schauen, der gleichfalls einen Fußballbezug hat, denn er spielt in den 1980er Jahren in Neapel, wo das Gerücht umgeht, dass der hiesige und notorisch erfolglose Fußballverein, der SSC, den besten Spieler der Welt verpflichten könnte; Diego Armando Maradona, den selbst eingefleischte Fußballverweigerer (wie ich es nicht bin und nie sein werde) kennen sollten, vielleicht ja von diesem Tor:[2]
Der 17-jährige Fabietto (Filippo Scotti) wächst in einer eher exzentrischen Familie auf. Sein Vater Saverio (Toni Servillo) arbeitet bei einer Bank und ist nach eigener Verlautbarung Kommunist, weshalb er keinen Fernseher mit Fernbedienung kauft, sondern lieber einen Besenstil benutzt, um die Kanäle zu wechseln (was übrigens erklären würde, warum ich in meiner Kindheit in der DDR niemanden kannte, der einen Fernseher mit Fernbedienung hatte). Seine Mutter Maria (Teresa Saponangelo) spielt anderen Leuten für ihr Leben gern Streiche. Die ältere Schwester Daniela kommt nie aus dem Bad heraus und der noch ältere Bruder Marchino (Marlon Joubert) möchte Schauspieler werden. Und wenn ihnen das schon zu ungewöhnlich ist, der sollte mal die Familientreffen der Schiesas sehen!
„The Hand of God“[3] trägt starke autobiographische Züge aus Sorrentinos Leben. Anfangs weckt der Film Erinnerung an „Call me by Your Name“, als Sommerfilm über das Erwachsenwerden und die Entdeckung der eigenen Vorlieben und Bedürfnisse, doch schnell merkt man als Zuschauer, dass Sorrentinos Werk in eine ganz andere Richtung läuft, in welcher das Leben als großes dramatisches Theater gezeigt, dass dann dazu führt eben jenes Theater inszenieren zu wollen. Das funktioniert leider nur bei den leisen Tönen richtig gut und wirkt an zu vielen Stellen, zu laut, zu überdreht, zu sehr, als hätte man eine Theaterbühne in einen Film gepresst. Trotzdem ist „The Hand of God“ ein phasenweise großartiger Film, dessen Ästhetik wunderschöne und sehr beeindruckende Bilder und Kamerafahrten bereithält. Nicht nur diese sind eine Hommage an Neapel, sondern auch an den etwas abgedrehten Geist, mit denen die Neapolitaner im Film beschrieben werden. Weniger erinnerungswürdig ist das Thema des Erwachsen-Werdens inszeniert, denn hier erscheint Fabietto nur als Figur, dem allerlei zustößt in seinem jungen Leben, dessen Persönlichkeit aber eigentümlich leer bleibt. „The Hand of God“ funktioniert deshalb auch weniger als ein Film über einen Menschen, der für sich begreift, dass er Filmemacher werden möchte, sondern mehr als Hommage an die eigene Familie, die Heimat und die eigene (steinige) Geschichte des Erwachsen-Werdens.
[1] Dessen Film „ La Grande Belleza“ ein Meisterwerk ist.
[2] Für alle die, welche die Geschichte nicht kennen; Maradona erzielt das Tor klar mit der Hand, der Schiri, damals noch nicht mit den Geißeln des Videobeweises belastet, gibt den Treffer. England ist außer sich. Nach dem Spiel befragt, ob er nicht die Hand zu Hilfe nahm, sagt Maradona, die „Hand Gottes“ hätte das Tor erzielt und man kann es drehen und wenden, wie man will, es gab wohl kaum eine bessere Antwort auf eine Spielszene, als diese Bemerkung Maradonas, die gleichzeitig arrogant, demütig, politisch und religiös ist.
[3] Warum im Namen des Herren, wurde dieser Filmtitel nicht ins Deutsche übersetzt, sondern bleibt bei der englischen Übersetzung des italienischen Originaltitels?