Jahr: 2023 | Drehbuch & Regie: Christopher Nolan | Bio-Pic | 180min
Dieser Kinosommer ist – oder besser war – „Barbenheimer“, wenn ich dies so salopp in die Runde unseres kleinen Lesekreises werfen darf. Tatsächlich kamen im Juli dieses Jahres mit „Barbie“ von Greta Gerwig und „Oppenheimer“ von Christopher Nolan zwei kinematographische Schwergewichte zeitgleich in die deutschen Lichtspielhäuser und einer der beiden Filme (nicht „Barbie“) veranlasste sogar meinen Opa, der dieses Jahr seinen 90zigsten Geburtstag feiert, nochmals ins Kino zu gehen (nach eigenem Bekunden ist der letzte Besuch 20 Jahre her). Und wenn mein Opa ins Kino in einen Film eines meiner Lieblingsregisseure geht, da muss ich den Film natürlich auch sehen.
Christopher Nolan inszeniert in seinem mittlerweile schon 12. Film das Leben des Amerikaners J. Robert Oppenheimers, dem „Vater der Atombombe“. Und bei Atombombe stockt einem natürlich der Atem, denn das 20.Jahrhundert hat vielerlei Erfindungen erdacht, die Atombombe gehört zu den gewaltigsten von ihnen und sie ist eine Innovation, welche unseren Planeten in seinen Grundfesten verändert hat, nicht nur wegen der beiden Abwürfe über Hiroshima und Nagasaki, sondern daraus folgend auch wegen ihrer Potentialität, dass sich die Menschheit per Knopfdruck durch eigene Kraft auslöschen könnte.
Doch die Atombombe ist nicht nur das dystopische, aber real mögliche Harmagedon, es ist eben auch eine nicht unerhebliche wissenschaftliche Leistung der Physik. Mit diesem Motiv beginnt Nolans Film, in welchem Oppenheimer als herausragender Physiker seiner Zeit zu sehen ist. Und mit ihm tauchen seine berühmten Kollegen auf; Einstein, Bohr, Heisenberg, um nur die bekanntesten theoretischen „Weltveränderer“ unter ihnen zu nennen. Sie alle erscheinen in den ersten Minuten des Filmes und schon hier begeistert der Streifen zum ersten Mal, denn er vermittelt die revolutionäre Erneuerung der Erklärung wie unsere physische Welt funktioniert. Es gibt wohl nur wenige Epochen der Wissenschaftsgeschichte, die eine solche Wucht hatten, wie die Physik in den ersten Dekaden des 20.Jahrhunderts. Ihre neuen Erkenntnisse, ob nun mit Einsteins Relativitätstheorie oder mit der Quantenphysik schienen bis dahin undenkbar und sind auch heute noch – für Normalsterbliche – kaum zu begreifen.
J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) ist begeistert vom Fach und studiert dort, wo die führenden Köpfe arbeiten, in Europa. Er kehrt danach in die USA zurück, beeindruckt insbesondere von der Quantenphysik, welche er in die wissenschaftliche Diskussion Amerikas als Pionier einbringt. Gleichfalls ist Oppenheimer ein politischer Mensch und hegt eine leichte Faszination für den Kommunismus, wobei ein Mitglied der amerikanischen kommunistischen Partei, Jean Tatlock (Florence Pugh) ihn besonders begeistert. Aber aus der Beziehung wird nur eine Affäre von Oppenheimer, als er seine spätere Frau Kitty (Emely Blunt) kennenlernt, ebenfalls eine ehemalige Kommunistin. Das Weltgeschehen dreht sich jedoch rasant weiter. Aus ideologischen Überbauten werden körperliche Kämpfe. In Spanien tobt der Bürgerkrieg, in Deutschland beginnen die Nazis den 2.Weltkrieg. Und sie haben das Know-How eine Bombe zu erschaffen, die alles Bisherige in den Schatten stellen könnte, die Atombombe. Von dieser Gefahr ausgehend ist es die Aufgabe von US-General Leslie R. Groves (Matt Damon) eine amerikanische Forschergruppe zusammenzustellen, welche vor den Nazis die Bombe erschaffen soll und trotz aller politischer Bedenken, wird Oppenheimer diese Gruppe leiten.
„Oppenheimer“ besteht aus zwei Handlungssträngen, von denen wir hier nur den ersten beschrieben haben. Der zweite Strang erörtert die Frage des Images (pathetischer könnte man auch vom Vermächtnis sprechen) der Person Oppenheimer. Weit nach dem Krieg wird eine Untersuchung zum Sicherheitsstatus Oppenheimers durchgeführt, der sich Vorwürfe im strikt Anti-Kommunistischen Amerika gefallen lassen muss, kein loyaler Diener seines Landes zu sein. Besonders sein einstiger Förderer Lewis Strauss (Robert Downey Jr.) steht hier als Fädenzieher im Mittelpunkt der Handlung.
Ein zentrales zentralen Thema des Films rückt hier in den Mittelpunkt; Ambivalenz. Oppenheimer baut mit seinem Team das zerstörerischste Element der Menschheitsgeschichte und ist gleichzeitig ein Apologet der Abrüstung. Er ist der amerikanische Prometheus (so auch der Titel des Buches, welches Nolan zum Film inspirierte[1]), ebenso wie Einstein ist er besessen davon, dem größten Übel der Zeit, den Nazis in Deutschland, etwas entgegenzustellen, aber nicht nur, wird niemals eine Atombombe auf die Deutschen abgeworfen werden (sie ist einfach nicht rechtzeitig fertig), sie wird an einem Kriegsgegner und seiner Zivilbevölkerung ausprobiert, der militärisch mindestens im Sterben liegt. Oppenheimer ist sich aber nicht nur der Fatalität der beiden Bombenabwürfe über Japan bewusst (mit weit über 200.000 Opfern), ihm ist auch klar, dass er ein neues Zeitalter schuf, denn Weltgeltung kann kein Staat mehr haben, wenn er nicht die Atombombe besitzt, und so wird es nach Hiroshima Ziel sein, diese zu erlangen.[2]
Der Streifen ist insbesondere in seinem zweiten Strang, auch ein Film über die Frage der Darstellung der Person Oppenheimers, zum einem als Selbstdarstellung des Physikers[3] und zum anderen als Frage der Moral. Darf man so etwas wie die Atombombe erfinden, wenn die theoretischen Möglichkeiten im wissenschaftlichen Raum liegen. Folgt aus der Erfindung und der Tatsache, dass andere es eben auch erfinden können, die Notwendigkeit noch schlimmeres zu erfinden, wie Edmund Teller (Benny Safdie), der „Vater der Wasserstoffbombe“ argumentieren würde, um ein Gleichgewicht des Schreckens zu erzielen. Oder ist die Notwendigkeit der Begrenzung, wie Oppenheimer es denkt, der sich strikt gegen eine Weiterentwicklung hin zur Wasserstoffbombe wendet, der richtige Weg.
Hier steht zusätzlich die Frage im Raum, ob man die Wirkmächtigkeit dieser zerstörerischen Waffengattung nur in den menschlichen Zeitgeist einschreiben kann, wenn man praktisch mit dem Abwurf der Bombe zeigt (wie in Japan geschehen), wie kapital ihre Wirkung ist. Müssen die Menschen erst das Leid erfahren, um zu wissen, wie schlimm es ist.[4] Während die militärische Logik hier schnell zu einem „ja“ tendiert, wird der moralische Zweifel an Oppenheimer selbst symbolisiert.
Wie sie gelesen haben, wirft „Oppenheimer“ all diese Fragen und Interpretationsmöglichkeiten auf und das macht den neuesten Nolan, vielleicht zu seinem besten Film, denn hier arbeitet sich Nolan (neben „Dunkirk“, den ich aber nicht so gelungen fand) an einem konkreten weltgeschichtlichen Thema ab und benutzt in Science-Fiction oder Fantasy, um sein Thema zu verdeutlichen. Das ist großartig gemachtes Kino, vielleicht wieder mit dem Scherflein zu viel Pathos aufgezogen (wobei mir die Heroisierung der Welt der Physik der 1920er Jahre als extrem gelungen vorkommt), aber mit großartigen Schauspielern, einem fantastischen, weil so facettenreichen Cillian Murphy, einer resoluten und Kräfte freisetzenden Emely Blunt[5] und zahlreichen in Erinnerung bleibenden Szenen (sehr bewegend, der Test von „Trinity“). Und letztendlich auch ein Film, der sich dem großen Thema unserer Zeit widmet, wie konnte es so weit kommen, dass wir Menschen die Möglichkeit haben, unseren Planeten als untergehendes Schlachtfeld zurück zulassen.
[1] Kai Bird, Martin J. Sherwin „American Prometheus. The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer“
[2] 1949 wird die Sowjetunion ihre erste Atombombe testen, 1952 Großbritannien, 1960 Frankreich, China 1964,…
[3] Am Ende des Filmes geht Oppenheimer mit seiner Frau gemeinsam ins Haus und in diesem Moment sind zwei Interpretationen der (Selbst-) Darstellung Oppenheimers möglich, zum einen als erfolgreiche Selbstdarstellung, dass Oppenheimer mehr als nur als der Kreator des Infernos ist, sondern auch ein führender Warner gegen das was er erschuf. Zum anderen erinnert Nolan uns daran, dass hinter jeder Handlung unterschiedliche Möglichkeiten der Inszenierung liegen.
[4] Tatsächlich kann man diesen Gedankengang gut mit der Virus-Krise der letzten Jahre, aber auch der Klimaveränderung durchspielen.
[5] Letztendlich kann man sogar fragen, ob es sich bei „Oppenheimer“ um einen Liebesfilm dreht, wobei man dies im konventionellen Sinn so nicht sagen kann, denn der Film ist vielmehr ein Aufzeigen von Macht in menschlichen Liebesbeziehungen und ein Inszenieren davon, wie Partner sich gegenseitig stärken können, auch wenn romantische Gefühle vielleicht der Vergangenheit angehören.