Originaltitel: „The Lost Daughter“ | Jahr: 2021 | Drehbuch & Regie: Maggie Gyllenhaal | Drama | 122min | Location: Insel Spetses (Griechenland)
Wenn ich, in meinem dafür vielleicht zu hohem Alter, nochmal mein Berufsleben komplett ändern und Schriftsteller werden sollte, dann will ich so werden wie Thomas Pynchon oder Elena Ferrante. Jetzt dürfen Sie das, geneigte Leser, nicht missverstehen. Ich würde mich künstlerisch nie auf so ein Niveau steigern können, aber ich bewundere den Amerikaner und die Italienerin dafür, dass sie als Privatpersonen komplett anonym geblieben sind als. Man weiß nicht, wie sie aussehen und wo sie Leben und sie bewerben ihre neuesten Bücher nie selbst. Ihre Werke stehen damit quasi für sich und etwas Besseres kann ich mir für ein Buch (das ich hoffentlich trotzdem irgendwann mal schreiben werde und wenn nur ich es lese) kaum vorstellen.
Die ehemalige Schauspielerin Maggie Gyllenhaal suchte sich ein Werk von Elena Ferrante für ihr Filmdebüt als Regisseurin aus, und zwar die recht kurze Erzählung „Frau im Dunkel“ (ein Buch dass ich aber nicht gelesen habe). Darin spielt Olivia Colman die 48-jährige Professorin Leda, die für einige Zeit eine Ferienwohnung auf der griechischen Insel Spetsos angemietet hat. Der Verwalter der Wohnung ist der gleichfalls stark in die Jahre gekommene, wie lebenslustige Lyle (Ed Harris), ein Urgestein auf der Insel. Am Strand lernt sie die Familie von Nina (Dakota Johnson) und ihrer Schwester Callie (Dagmara Dominczyk) kennen, die impulsiv und etwas aufbrausend wirken. Ninas Leben mit ihrer Tochter (die auch noch am Strand verschwindet, aber von Lena wiedergefunden wird, was den amerikanischen Originaltitel des Filmes (mit)erklärt) und ihrem Mann (Oliver Jackson-Cohen) erscheint äußerlich glänzend, aber irgendwie auch aufgesetzt. Das erinnert Leda an ihre Biografie, als junge Mutter (frühere Leda: Jessie Buckley), als ihre Töchter Bianca und Martha kleine Kinder waren und Leda wegen einer Affäre mit einem Professor (Peter Saarsgard) ihre Familie verlassen hatte, um drei Jahre später wiederzukehren.
„Frau im Dunkeln“ hat eigentlich alles, was ein guter Film braucht, hervorragende Hauptdarsteller mit einer glänzenden Olivia Colman und einer nicht weniger beeindruckenden Jessie Buckley, eine ruhige Erzählatmosphäre, die zwischen Drama der eigenen Lebensbiografie und einem fast thrillerhaften Diebstahl changiert und einem Handlungsverlauf, der gerade am Ende diese Stränge gut auserzählt. Und trotzdem fehlt diesem Film etwas. Das könnte vielleicht an der sperrigen Figur von Lena liegen, die schwer nahbar wirkt, deren Verbindung zu ihrem früheren Ich, irgendwie nicht nachvollziehbar erscheint (wie könnte man diese Frau charakterisieren? Eine „Nicht-natürliche Mutter“ wie sie selbst sagt?).[1] Oder es liegt an dem Wechsel der Filmstory, deren Spannungsbogen zwischen einem Diebstahl, vermeintlich bei einer Mafia-Familie, liegt und dem eigenen Lebensweg, der selbstgewählt voller Hindernisse und Eigentümlichkeiten ist. Lena scheint sich in Nina zu spiegeln, mit einer Verzerrung des Bildes nicht nur zwischen Lena und Nina, sondern auch zwischen der heutigen Lina und ihrem Ich als junger Mensch. Vielleicht ist die Konzentration des Films auf einen so kleinen Lebensabschnitt von Lena auch zu knapp gewählt und man muss sich als Zuschauer zu viel dazu denken. Vielleicht liegt das leichte Unbehagen (denn mehr ist es auf keinen Fall) aber auch nur an meiner fehlenden interpretatorischen Vorstellungskraft das kontroverse Leben einer Frau vorzustellen.
Ärgerlich ist jedenfalls das Setting auf einer griechischen Insel, wo sich nur Amerikaner befinden, teilweise mit einem Herz für italienische Sprache, was befremdlich wirkt und die Location zu einem Nicht-Ort macht?[2]
So bleibt bei mir ein gemischtes Gefühl auf die „Frau im Dunkeln“ zurück, trotzdem ein empfehlenswerter Film.
[1] Ein kleines Gedankenexperiment: Wäre die Figur Lena ein Mann, dann wäre das Rollenbild klar. Das Ausleben der eigenen Begierde und die Fokussierung auf die Karriere sind fast schon klischeehafte Verkürzungen traditioneller männlicher Inszenierungen. Auch der wunderbare Film „Tar“ spielt etwas mit dieser ehemals männlichen Typisierung, nur das bei „Frau im Dunkeln“ die Rolle als Mutter noch weiter fokussiert wird. Die erzählerische Spannung, die beide Filme aufbauen liegt aber auch in der Verknüpfung eines genuin nicht typischen Bildes auf eine weibliche Biographie.
[2] Es war wohl geplant, den Film bei New York zu drehen, was deutlich besser gepasst hätte, wegen der Corona-Krise aber nicht möglich war.