Erschien 2021 bei Kiepenheuer & Witsch mit 208 Seiten (in der hier gelesenen Taschenbuchausgabe)
Wieso komme ich eigentlich nie um einen Wühltisch in einer Buchhandlung herum, obwohl ich nie einen Wühltisch im Klamottenladen anrühren würde? Selbst Restbücherverkäufe in Supermärkten ignoriere ich problemlos. Aber der Wühltisch im Buchladen (bevorzugt im Hugendubel in der AmaGa) kann manchmal Schätze hervorbringen und habe ich diese gehoben, ist es ein fast unmögliches Unterfangen, sie nicht zu erwerben. So geschehen Anfang Januar, als mir unter anderem Christan Krachts „Eurotrash“ in die Hände fiel.
Christian Kracht ist 25 Jahre nach seinem Bucherfolg „Faserland“ in Zürich, um seine Mutter zu besuchen, die – über 80-jährig – immer gebrechlicher ist, aber nichts vom Schrecken ihrer Boshaftigkeit verloren zu haben scheint. Krachts Familiengeschichte ist voll von Nazivergangenheit und wirtschaftlichem Erfolg im Nachkriegsdeutschland und der Autor reflektiert all dies, bevor er zum Besuch seiner Mutter aufbricht, bei dem er beschließt eine vielleicht letzte Reise mit seiner Mutter zu unternehmen, an die Orte seiner Kindheit.
„Eurotrash“ ist ein Familienporträt und dann ein Road-Trip eines autofiktionalen Erzählers aus begütertem und historisch-politisch fragwürdigem Hause.[1] Die Besonderheit des Romans ist Krachts Spiel mit der Rolle der Erzählung. Da ist zum einen sein autofiktionales Ich „Christian Kracht“, Autor des vor 25 Jahren erschienenen Romans „Faserland“, eine Tatsache die mehrmals erwähnt wird (in letztgenannten Roman jedoch ist die Rolle des Ich-Erzählers noch namenlos und es stellte sich anfangs die Frage bei den Leser, welcher Schnösel dieser Ich-Erzähler bitteschön sei). Insofern ist „Eurotrash“ die Erweiterung des älteren Romans, und zwar als eine Erweiterung des Ich-Erzählers und als eine Familiengeschichte dieses Erzählers, die natürlich der seinen Familiengeschichte Krachts ähnelt. Dieses Spiel mit Ähnlichkeiten ist dann eine weitere Meisterschaft von Kracht,[2] was wiederum auf die Rolle des Autors einer Erzählung verweist und auf die Grundfragen einer jeden Fiktion, wie wieviel Autor steckt in einem Text? Wie viel lasse ich von mir dem Leser wissen? Wie authentisch bin ich, obwohl ich fiktional schreibe? Kracht treibt diese Perspektive aber noch weiter, in dem er Erzählebenen verschiebt und deren logische Probleme thematisiert,[3] um damit letztendlich nicht nur eine Geschichte „seiner Familie“ zu erzählen, sondern danach zu fragen, wer erzählt hier eine Geschichte und wie tut er das.
Das ist der große Reiz an „Eurotrash“, nicht nur ein Gesellschaftsporträt einer reichen deutschstämmigen Familie in der Schweiz zu sein, bei der nicht die Problemlage darin besteht genügend Geld zu besitzen, sondern eher die moralisch-historische Frage besteht, was hat man für diesen Wohlstand getan. Über dieses Motiv hinaus ist das Thema, die Rolle des Erzählens, die „Eurotrash“ hinterfragt und das ist durchaus sehr zeitgemäß, in einer Welt in denen Content-Creator immer wieder versuchen die dünne Linie zwischen Authentizität und Geschäft auszubalancieren.
[1] Erst kürzlich las ich Wolf Haas „Eigentum“. Interessanterweise auch dies eine autofiktionale Geschichte eines Autors über seine Mutter und sich. Obwohl das Motiv und eine gewisse Zänkigkeit der Mutter in beiden Büchern nicht unähnlich ist, gibt es aber dich beträchtliche Unterschiede. Während Haas Mutter ihr Leben lang in übersichtlichen finanziellen Verhältnissen lebte, spielt bei Krachts Mutter Geld keine Rolle, sondern eher die Distinktion wie man sich vollkommen als selbstverständlich gehaltener Mittel von anderen Menschen unterscheidet.
[2] Als interessierter Leser sieht man sich genötigt die Wikipedia-Einträge von Kracht und seinem gleichnamigen Vater Christan Kracht durchzuarbeiten.
[3] So beim Restaurantbesuch von Mutter und Sohn, bei dem von einem Gespräch des Kellners mit dem Koch berichtet wird, aber klar ist, das der Ich-Erzähler dieses Gespräch gar nicht beigewohnt hat, aber genau dieses Szenario in die Darstellung aufnimmt: „Es war, als ob ich aus meinem Gehirn herausgefahren wäre und als Äther einen Spaziergang unternommen hätte, ja, geflossen wäre aus dem Geschehen, in dem ich mich befunden hatte, und als sei es mir dadurch möglich gewesen, allanwesend zu sein, was ich ja im Endeffekt sowieso war, in meiner Geschichte.“ (S.138f)