Idee & Regie & Drehbuch: Olivier Assayas | Dramedy-Miniserie | 8 Folgen | veröffentlicht 2022 auf HBO (in Deutschland auf Wow)
Wer eine Serie beim Streamingdienst seiner Wahl schaut (oder ganz herkömmlich im Fernsehen, aber wer tut das eigentlich noch?), der sieht einer Erzählung zu. Diese ist bestenfalls ein künstlerisches Produkt, das ihn inspiriert über die Welt zu sinnieren oder aber eine ihn von den Wirrungen des Alltags loslassende unterhaltende Folge. Doch was steht eigentlich dahinter, oder besser formuliert, vor der Serie? Wie entsteht ein filmisches Produkt? Das zeigt uns „Irma Vep“, eine Mini-Serie von außerordentlicher Güte.
Mira Harberg (Alicia Vikander) ist eine junge Schauspielerin, deren Ruhm weltweit gerade ansteigt. Allerdings hat sie privat die Trennung von Laurie (Adria Arjona), ihrer ehemaligen Assistentin und Geliebten, nicht wirklich verwunden. Nun ist sie in Paris und möchte mit dem französischen Independent Filmer René Vidal (Vincent Macaigne) eine Serie drehen. Diese ist ein Remake eines frühen Stummfilms über eine Verbrecherbande namens „Die Vampire“, in welcher Harberg die Rolle der Protagonistin Irma Vep spielt, die einst von der großen Schauspielerin Musidora gemimt wurde. Doch die Arbeiten gestalten sich als schwierig. Vidal scheint teilweise besessen von seiner Auffassung, wie man den Stoff neu inszeniert, der deutsche Schauspieler Gottfried (Lars Eidinger) stolpert von einer hedonistischen Eskapade in die Nächste, der französische Schauspieler Edmond (Vincent Lacost) wiederum fühlt sich nicht gut genug inszeniert und der Hollywood-Blockbuster Regisseur Herman Ray (Byron Bowers) ist ebenfalls in der Stadt, nicht nur um seinen neuen Film zu promoten, er hat auch seine neue Geliebte mitgebracht; Laurie, die insbesondere Hermans Reichtum schätzt.
„Irma Vep“ ist eine herausragende und sehr facettenreiche Serie über das Filmemachen, über Rollen spielen, über Realität und die Inszenierung dieser, über Kunst und Unterhaltung, über Ruhm und Reichtum und Probleme, die Filmstars genauso haben, wie Nicht-Prominente. Die Serie ist dabei sehr rückbezüglich inszeniert, sie referenziert nicht nur über den Stummfilm „Die Vampire“ aus dem Jahr 1915, sondern sie baut ebenfalls den Film „Irma Vep“ ein, welcher in der Realität von Olivier Assayas gedreht wurde, in der Serie ebenfalls vorkommt, aber hier von René Vidal stammt. Diese ständige Verknüpfung von realen und fiktionalen Fakten aus der Filmwelt öffnen viele Interpretationsspielräume darüber, wie Geschichten erzählt werden können und wie Ereignisse diese Erzählungen beeinflussen. Diesen letzten Punkt etwas anders formuliert, kaann man zusammenfassen, dass die Serie zeigt, wie aus einer Idee, eine Umsetzung wird und sich diese Idee immer wieder dynamisch verändert, bis sie zur filmischen Realität wird.
Das Darstellen, wie eine ideale Rolle in tatsächliche Handlungen transformiert, ist eine große Güte der acht Folgen. Die Serie inszeniert beeindruckend die Frage nach der Schauspielkunst, der Verwandlung in Rollen und wenn man so will nach Authentizität und gespielter Authentizität, wobei dies die Serie „Irma Vep“ besonders eindrücklich an der Figur der Mira Harberg tut. Die Figur changiert nicht nur als kommender Hollywoodstar zwischen Ruhm und Kassenschlagern, sie will ebenfalls eine ernstzunehmende Schauspielerin sein. Für letzteres versucht Harberg die Rolle der Irma Vep als Meisterverbrecherin und in gewisser Weise frühe Feministin, fast schon zu leben.
Und hier dreht sich ein bisschen die Frage der Annahme von Rollen und betont, wie stark Musidoras Rolle in Harbergs Leben eindringt. Menschen nehmen nicht nur Rollen an, sie werden von diesen auch inspiriert für das eigene Leben, dass nichts mit dieser Rolle zu tun hat und dies ist ein Prozess der weniger rational, als emotional einfühlsam passiert. Harberg führt ein Leben, das einem Menschen gehört, der Bewunderung und Zuneigung bei anderen auslöst, aber natürlich auch selbst Menschen bewundern möchte, nur dass dies nicht unbedingt die gleichen Menschen sein müssen. Harbergs anhaltende Faszination für Laurie ist dabei der Höhepunkt einer Inszenierung von Verlangen, dass sich eben nicht rational ergründen lässt. An dieser Stelle ist der Sprung zu Gottfried nicht weit, einer Figur, die fast schon aufgefressen wird von hedonistischen Selbsterfahrungen, bei der nicht mehr klar ist, ob hinter dem gespielten Schauspielerleben mit Sex, Drugs and Rock-n-Roll noch irgendetwas übrig bleibt, dass den Menschen Gottfried vor oder hinter dem Bild eines Schauspielers ausmacht. Und wir haben René Vidal, einem sehr ruhigen, aber dann doch besessenen Regisseur, der scheinbar alles für seine Kunst tut, ein ruhiger Vulkan, der dann ausbricht, wenn sein Kunstwerk nicht so wird, wie er es sich vorstellt und der dabei immer wieder seine eigene Arbeit selbst torpediert.
Nicht nur diese drei Figuren sind grandios besetzt und gespielt von Alicia Vikander, Lars Eidinger und Vincent Macaigne. Die Serie bis in die kleinsten Rollen großartig besetzt. Das darauf so viel Wert gelegt wird, scheint bei der Thematik der Serie fast wie ein Muss, denn „Irma Vep“ verhandelt immer wieder die Frage von Unterhaltung und Kunst und die Frage wie diese eigentlich entsteht, an was sie sich orientiert und was man für sie (auf)geben muss. Und auch wenn „Irma Vep“ nicht mit einer Definition von Kunst aufwarten kann, ist diese Serie doch genau das, große Kunst!