Es ist Sommer und die Nacht bricht herein. Sie suchen im Internet nach Unterhaltung und sie finden eine Radiostation. Dort spricht ein Mann, wohl so Mitte 30. Er sendet von einem Ort, den er nicht verraten will. Er ist dort mit seinem acht Jahre alten Sohn und versteckt sich, weil er Angst hat gefunden zu werden.
Das ist das Szenario von Thomas Glavinics Roman „Lisa“. Wir lesen, wie ein Mann im selbstgemachten Radio spricht (genau genommen wissen wir nicht, ob der immer wieder stockende Text dadurch bedingt ist, dass der Radiomacher teilweise auch anderen Tätigkeiten nachgeht, oder sein Mikro fehlerhaft ist, oder ob die das Radio hörende Person zwischenzeitlich eine andere Station einschaltet, aber das sind recht unwichtige Details). Dieser Mann, der von seinem Laptop aus sendet, hat große Angst. Er flieht vor einer Unbekannten.
Die Angst hat er, weil vor drei Jahren bei ihm eingebrochen wurde. Alles war harmlos, aber wie sich später rausstellt, wurden DNA-Spuren gefunden, welche zu mehreren anderen Tatorten passten. Die Spuren sind von einer Frau und die weiteren Verbrechen, bei denen diese Spuren noch gefunden wurden, sind grausig, brutal und auf der Welt verstreut. Hilgert, der damals zuständige Kriminalist, verfolgt die Spur der geheimnisvollen Kriminellen und so werden unser Radiomacher und er Freunde, mit dem Ergebnis, dass Hilgert immer mehr verwirrende Spuren ausfindig macht und schlussendlich, als unser Hauptheld nichts mehr vom ihm hört, auch diesen so sehr dadurch ängstigt, dass er fortfährt und sich versteckt, trinkt und kokst und zu seiner Ablenkung und weil er etwas zum reden benötigt, sein Internet anstellt und Radio macht.
Glavinic wurde für seinen Krimiroman „Lisa“ sicherlich inspiriert von der Geschichte der fehlerhaften DNA Auswertung auf Grund von verunreinigten Wattestäbchen. Eine Geschichte die vor einigen Jahren mal in den Medien zu finden war und deren Rätsels Lösung eine Frau in der Firma war, die solche Analyseobjekte herstellte. Diese verunreinigte unbewusst die Stäbchen und dadurch tauchten ihre Spuren bei allerlei Tatorten auf, so unter anderem – wenn ich mich recht erinnere – auch bei den Todesfällen die später im Zusammenhang mit der NSU standen. Doch auch wenn diese Inspiration schnell deutlich wird (Glavinic geht selbst darauf ein), tut dies dem Lesevergnügen keinen großen Abbruch.
Im Gegenteil Glavinic hat es mit dieser Konstellation der einsamen Radiostimme eines verängstigten Vaters geschafft, sich eine Möglichkeit zu geben, mal richtig die Sau raus zu lassen und einer Person eine Stimme zu geben und diese sagen zu lassen, was man sonst nicht einfach sagen kann. Die Stimme aus dem Internetradio wirkt auf den Leser ziemlich sympathisch. Es ist die eines intelligenten Stammtischplauderers, belesen, interessiert am Weltgeschehen und noch mehr interessiert daran seinen Hörern mitzuteilen, was er über die Welt denkt, denn die Auflösung des Rätsel warum er dort allein in einer von Insekten verseuchten Hütte übernachtet kommt fast nur nebenbei zur Sprache.
Glavinic gelingt mit „Lisa“ eine schöne Allegorie über den modernen Blogger, der Freude daran hat seine Meinung mit einer anonymen Masse mitzuteilen (das sollte sie jetzt aber fragen lassen, aus was für Gründen das hier Geschriebene geschrieben wurde). Das Internet als Weltinterpretationsmaschine für jedermann. Nebenher schreibt Glavinic auch gleich noch eine Geschichte des kriminellen Gens. Da ist – wie so häufig bei ihm – wirklich sehr humorvoll, manchmal sehr brutal und grausam, hat aber immer eine offene, ehrliche und nachvollziehbare Sprache, die man dem Radiomacher und Glavinic (der sich hinter ihm so wunderbar verstecken kann) abnimmt.