Als ich letztes Jahr zur Buchmesse in Frankfurt bei der Veranstaltungsreihe „Open Books“ war, so kamen die Beweggründe vorwiegend aus einem großen Interesse für Thomas Glavinic heraus, der mit seinem Roman „Das größere Wunder“ auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis stand. Ich kannte den Namen Glavinic schon, wusste aber nicht mehr genau woher, ob aus der Zeitung oder von verdrängten Buchrezessionen. Auf jeden Fall war er mir sympathisch bei seiner Buchpräsentation, nur leider fand ich, das eigentlich Präsentierte, nämlich Auszüge aus „Das größere Wunder“ viel weniger spannend und interessant als die Texte von Peter Stamm, der unmittelbar vor Glavinic vorgetragen hatte. Trotzdem riss mein Interesse nie ganz ab, denn wer lässt sich schon negativ von einem 10minütigen Vorlesen etwas ganz vergrätzen. In diesem Sommer, der dem körperlichen Gebrechen Tribut zollen muss und dadurch jede Menge Zeitreserven bereit hält, bestellte ich mir eines der älteren Werke von Glavinic, wie immer bei einem Internet 2.Hand Buchladen (was mir übrigens für meinen Lieblingsbuchhändler irgendwie Leid tut, aber trotzdem viel billiger ist).
Jonas erwacht am 4.Juli und stellt fest, dass alle anderen weg sind. Nicht nur seine Freundin Marie, nein alle. Es gibt keine anderen Menschen mehr und auch keine Tiere, das Fernsehen geht nicht und auch das Internet ist funktionslos. Sonst aber ist alles da, Wien ist genauso wie vorher, nur eben ohne die anderen Menschen, die ohne jede Spur verschwunden sind. Die Häuser stehen noch, alle Lebensmittel sind noch da, auch Autos, Eisenbahnen und Flugzeuge gibt es noch, nur das sie alle still stehen. Jonas versucht herauszubekommen, was passierte und warum nur er allein zurück geblieben ist, oder ob er doch nicht allein ist. So sucht er und versucht zu finden ohne so recht zu wissen, ob er sich nicht selbst dabei verliert.
„Die Arbeit der Nacht“ könnte man wie einen Mystery-Thriller lesen, um ein dunkles Geheimnis, das ein einzelner Held zu lösen hat. Doch diese Spur verfolgt Glavinic nicht. Ihm geht es vielmehr um die einzelne Existenz in der Welt. Statt klarer wird der Roman eher verschwommener, die Rätsel werden größer und komplexer und die Lösungsansätze werden vager, unklarer, und schließlich ergebnislos. Ein Roman der quasi die „Geschmissenheit der einsamen Existenz in die Welt“ porträtiert. Durch das zunehmende Fehlen einer Antwort auf die Frage, warum Jonas so allein in Wien lebt wird der Roman besonders im Mittelteil schwerfällig, denn die Situation ist dem Leser bald deutlich. Die Thematik ist nach spätestens 150 Seiten klar und irgendwie abgearbeitet und die restlichen 250 Seiten scheinen das Thema zu variieren. Die Sätze sind kurz und gedrängt von den Handlungen des einzigen Akteurs, dabei fehlen zumeist die Reflexionen des Helden. Er arbeitet sich an seiner Situation ab und der Leser kann nur annehmen was er fühlt und denkt. Das so ein Szenario prima funktionieren kann, zeigt der Film „All is Lost“ von J.C. Chandor mit Robert Redford, bei Glavinic fühlt man sich aber als Leser eher allein gelassen, so wie die Mitmenschen Jonas allein lassen. Man denkt er wäre wie in einem bösen Alptraum gefangen. Immer wieder frappierend ist die Ähnlichkeit zu „Die Wand“, einem Roman von Marlen Haushofer, dessen filmische Umsetzung von Julian Pölser mir arg langatmig vorkam, fast schon grausig einsam, auch, und insbesondere, für den Zuseher.
So ist „Die Arbeit der Nacht“ ein nicht sehr schnell eingängiges Buch, das eher einen philosophischen Anspruch hat, Einsamkeit und Wahnsinn und den existentiellen Kampf Spuren in der Welt zu hinterlassen aufzuzeigen, aber nicht wirklich überzeugen kann, auch weil der Spannungsbogen einfach nicht so weit dehnbar ist.