Gerd Gigerenzers Buch „Risiko“ trägt den etwas verwirrenden Untertitel: „Wie man die richtigen Entscheidungen trifft“. Wer daher einen Lebensratgeber erwartet, der einen sagt, bei Risiko 1 tue A und bei Risiko 2 tue B, der ist bei diesem wunderbaren Sachbuch nicht richtig. Gigerenzer geht es um etwas viel grundsätzlicheres, er möchte uns von der Wichtigkeit individueller Risikokompetenz überzeugen. Damit ist gemeint, dass Bürger gestärkt werden sollen, mit Risiken und Ungewissheiten besser selbstbestimmt umzugehen und sich weniger auf angebliche Argumente von Produktproduzenten oder Lobbygruppen zu verlassen. Er gibt dafür drei Themenkomplexe vor: Gesundheitskompetenz (die Stärkung des selbstbestimmten Patienten), Finanzkompetenz (die Stärkung des seine Investitionen verstehenden Investors) und digitale Risikokompetenz (also dem „gesunden“ Umgang mit neuen Technologien des Internets).
Die Stärken dieses Buches liegen klar in der sehr gut nachvollziehbaren Argumentation des Autors und in der vielfältigen Fülle von Empirie, die Gigerenzer dem Leser präsentiert. Dabei ist sein Kernargument, dass viele Daten, Statistiken und Aussagen, die uns täglich präsentiert werden, nur den Anschein von Klarheit waren und tatsächlich eben nicht vollkommen klar sind. Das beginnt mit der Regenwahrscheinlichkeit (wobei sich gerade in letzter Zeit herumgesprochen hat, was 30% Regenwahrscheinlichkeit bedeutet, nämlich das es an 30 von 100 Tagen bei der gleichen Vorhersage regnet und an 70 nicht), dringt aber schnell viel tiefer in unser Leben ein. Ein schönes Beispiel liefert er schon auf den ersten Seiten.
In Großbritannien verbreitete sich die Nachricht schnell und ausführlich, dass die 3.Generation der Antibabypille eine Verdopplung der Nebenwirkungen im Fall von Thrombose verursacht. Das klingt selbstverständlich gefährlich und die relative Risikozunahme ist erschreckend. Viele Frauen setzten daraufhin die Pille ab und in England und Wales gab es im Jahr nach der Bekanntmachung der Nachricht rund 13.000 Fälle mehr an Abtreibungen! Sieht man aber auf die absolute Risikozunahme der Einnahme von Pille, so erhöhte sich die Thrombosegefahr von 1 zu 7.000 auf 2 zu 7.000. Diese Zahlen wurden jedoch nicht breit diskutiert, ein Statistik der absoluten Häufigkeit, die keinesfalls so viel Panik auslöst, wie die Nachricht der Verdopplung der Thrombosefälle. Hier wurde eine Panik verursacht die weit reichende Folgen hatte. Bedenkt man die ungleich höhere Gefahr einer Thrombose bei einer Abtreibung, als bei der Einnahme der Antibabypille, so ist der Umgang mit solchen Statistiken tatsächlich fahrlässig zu nennen.
Gigerenzer schildert eine hohe Zahl solch teilweise, bemerkenswerter Beispiele im Buch, was dadurch nicht nur erhellend, sondern auch sehr unterhaltsam ist. Zweifellos schreibt er hier im Stil einer Streitschrift für ein nichtwissenschaftliches Publikum, aber tatsächlich ist es doch gerade heute, in Zeiten, wo von allen Seiten aufgeregt in den öffentlichen Diskurs gebrüllt wird, man solle endlich anfangen zu denken, sehr wichtig, dass eigene Denken tatsächlich zu stärken. Gigerenzer gibt zu bedenken, dass noch vor 200 Jahren eine Gesellschaft in der fast alle Lesen und Schreiben konnten schier undenkbar war. Warum soll es heute also für uns nicht möglich sein, eine Gesellschaft zu schaffen, in der Individuen gestärkt werden, Werkzeuge in die Hand zu bekommen (wie Kompetenzen im statistischen Denken, bei Faustregeln oder der Psychologie des Risikos) eigene Entscheidungen abzuwägen und schließlich als Risikokompetentes Individuum Eigenverantwortung zu übernehmen. Ein geistreiches, spannendes Buch mit einer Message, viel mehr kann man von einem Sachbuch nicht erwarten.