Victoria

Jahr: 2015 | Regie und Drehbuch: Sebastian Schipper (Drehbuch auch: Olivia Neergard-Holm und Eike Schulz) | Kammerspiel | Länge: 140min | Location: Berlin

Bei Spaniern ist Berlin eine sehr attraktive Adresse. Die Stadt besitzt dort einen Charme, den sie innerhalb Deutschlands nicht hat und es sind gerade junge Spanier, die eine große Faszination mit der Stadt verbinden. Ob das mit den sehr guten Möglichkeiten zu tun hat in Berlin bis spät in die Nacht hinein zu feiern lässt sich von meiner Perspektive nicht beurteilen, wäre aber eine interessante Hypothese, denn die Clubs der Stadt genießen auch weit über die Landesgrenzen hinaus einen guten Ruf, so man denn mit diesem Wissensgebiet beschäftigt.

Die Madrilenin Victoria (Laia Costa) feiert bis spät in die Nacht in einem Berliner Undergroundclub (wobei Underground dafür steht, dass der Klub sich in einem Kellergeschoss befindet). Gegen 4 Uhr morgens gibt es nicht mehr viel zu tanzen, feiern oder trinken und sie entscheidet sich zu gehen, wobei sie auf vier schon recht erheiterte Berliner Jungen trifft. Sonne (Frederick Lau), Boxer (Franz Rogowski), Blinker (Burak Yigit) und Fuß (Max Mauff) kommen nicht in den Klub herein und Victoria lässt sich dazu überreden mit den Vieren noch etwas Zeit zu verbringen. Was als leicht betrunkenes Abhängen ohne Zwang beginnt, wird im Laufe des Morgens zu einem gefährlichen Spiel.

„Victoria“ ist ein sehr spezieller Film, was auch dem Zuschauer schnell klar wird, denn er besteht aus einer einzigen 140-minütigen Kamerafahrt, er ist quasi ein One-shot Video, oder eine Plansequenz, so wie beispielsweise auch Alejandro González Iñárritus Film „Birdman“. Ganz ohne Schnitte begleitet er Zuschauer die fünf Akteure und ist hautnah am Geschehen und erlebt die fast zweieinhalb Stunden als jemand, der irgendwie mitgeht mit den Charakteren. Das erzeugt eine sehr nahe Stimmung, ein Gefühl die Schauspieler fast schon berühren zu können. Diese sind sehr überzeugend, besonders Frederick Lau und Max Rogowski faszinieren als Kleinkriminelle Mit-20er mit einem guten Herz. Tatsächlich könnte man meinen, ein so langer Film, der alles in Echtzeit abspielt, könnte etwas langweilen, aber das ist nicht der Fall.
Die Probleme, dieses ansonsten fantastischen Streifens, liegen eher in einem dann doch gerade zum Ende hin überdrehten Skript, dass um zum gewünschten Schluss zu kommen, realistisches Handeln und Logik ziemlich stark ausbeult. Gleichfalls ist da ein komisches Ungleichgewicht bei den Figuren. Während die Kamera immer Victoria begleitet, hat man doch das Gefühl sie am wenigsten zu verstehen (was keinesfalls an den Dialogen liegt, denn das wundervolle Englisch das zwischen ihr und den Jungs besteht, ist ein sehr lebensnahe gesprochenes Konversationsenglisch, so wie Nicht-Muttersprachler diese Sprache zur Verständigung nutzen). Victoria bleibt undurchsichtig, während man einen gewissen Handlungsdruck bei den Jungs spürt, bleibt man bei ihr mit einem gewissen Stirnrunzeln zurück. Das soll nicht als Kritik an Laia Costa verstanden werden, mehr an der Anlage ihrer Figur, die ein bisschen wie ein Fisch wirkt, der durch den Handlungsfluss getrieben wird.
Trotz allem ist „Victoria“ ein herausragender Film des deutschen Kinos. Dazu zählt auch ein feiner und immer passender Soundtrack und natürlich die schon erwähnten überzeugenden Schauspieler, sowie die beeindruckende Erzähltechnik, die die Spontanität der Darsteller hervorragend heraus kitzelt (tatsächlich wurden die 140 Minuten dreimal gefilmt, die letzte Version wurde dann zum Film, so ist „Victoria“ dann auch fast mehr ein spontanes Theaterstück, als ein Film im traditionellen Sinn). Trotz der kleinen Einwände ist der Film großes Kino, der 2015 zahlreiche Preise gewann (Berlinale und Deutsche Filmpreise).

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