Der in den USA nicht ganz unbekannte Kolumnist Joe Klein sagte auf die Feststellung das „The Wire“ nie den wichtigsten TV-Serien Preis gewonnen hatte, folgende bemerkenswerten Aussage: „The Wire hasn’t won an Emmy? The Wire should get the Nobel Prize for Literature!“ Man kann insbesondere den zweiten Satz vollkommen unterstützen, obwohl TV-Serien wohl nie – und vollkommen berechtigterweise – einen Literaturpreis gewinnen werden. Trotzdem ist der Vergleich treffend. „The Wire“ ist wie ein komplex verschachtelter Roman von 2.000 oder mehr Seiten Länge, der 5 Teile und 60 Kapitel hat und bei dem jeder Teil den vorhergehenden dekonstruiert und auf neue Wege führt (die FAZ berichtete 2010 sehr lesenswert über „The Wire“ als Serie, die wie ein Roman funktioniert, hier der Link). Trotzdem ist die Serie nicht wirklich schwer zu verstehen, man muss noch nicht mal dringend von Beginn an schauen, denn diese Komplexität bietet sich an, aber sie drängt sich niemals auf.
Im Artikel zur 1. Staffel habe ich davon berichtet das „The Wire“ von einigen Menschen zur besten je gezeigten TV-Serie gezählt wird. Blicke ich zurück auf großartige Serien wie: „Sopranos“, „Six Feet Under“ oder „Breaking Bad“ so muss ich feststellen, diesen Meinungen kann ich zustimmen. „The Wire“ ist eben noch ein bisschen besser, was vor allem daran liegt, dass diese Serie eine nie dagewesene Mischung, aus sich treu bleiben und sich neu erfinden hat, bei einem Realismus der so bisher nicht dargestellt wurde. Die Serie spricht aus dem Herzen des alltäglichen Lebens einer Stadt.
Staffel 5 ist auf der Suche nach der Wahrheit, so könnte man vereinfacht sagen. Aber weniger auf der Suche nach einer bestimmten Wahrheit, als vielmehr auf der Suche nach Antworten auf Fragen wie wir mit Wahrheit umgehen und was sie für uns heute bedeutet? Zwei Berufsgruppen sind prädestiniert für die Suche nach Wahrheit, zum einen die Mordkommission bei der Polizei, die tödliche Verbrechen aufdeckt und Verbrecher fasst und zum anderen die Redaktion der Zeitung, welche die Dinge die sich ereignen wahrheitsgemäß erzählen.
Doch beide Institutionen stecken in großen Schwierigkeiten. Der Polizeietat wird bis auf das minimal Mögliche gekürzt, so dass selbst die Polizei Opfer vergessen muss, wenn die Öffentlichkeit kein Interesse mehr daran hat. So wie die 22 Leichen, die in den Abrisshäusern gefunden wurden (Staffel 4). Die Spezialeinheit unter Lester Freamon (Clarke Peters) wird auf zwei Mann dezimiert und vom Fall abgezogen, weil ein anderer Fall, der Korruptionsprozess um Senator Clay Davis (Isiah Whitlock Jr.), plötzlich mehr Priorität genießt. Da auch die restliche Polizeiarbeit unter dem massiven Sparzwang leidet und kaum mehr ordnungsgemäß durchgeführt werden kann, sieht sich Jimmy McNulty (Dominic West), der zurück in der Mordkommision und ebenso wieder zurück im Leben mit Alkohol und schnellen Bekanntschaften ist, zu einem Komplott genötigt. Er erfindet Morde!
Auch bei der „Baltimore Sun“ der großen Tageszeitung der Stadt stehen finanzielle Kürzungen auf dem Programm. Chefredakteur Augustus Haynes (Clark Johnson) muss zusehen wie seine Redaktion immer mehr zusammengestrichen wird und er einige gute Journalisten verliert. Andere haben Angst um ihren Job, so wie die jungen Redakteure Alma Gutierrez (Michelle Paress) und der schnell überfordert wirkende, aber eine blühende Fantasie habende, Scott Templeton (Tom McCarthy). Dieser kommt plötzlich zu einer Geschichte über Morde im Obdachlosenmilieu.
Staffel 5 von The Wire verlagert wiederum die Perspektive, jedoch ist der Bruch zur vorhergehenden Staffel 4 viel kleiner. Die Serie scheint nach der typischen Pause von einem Jahr, fast nahtlos weiter zu gehen, verschiebt aber die Aufmerksamkeit weg von der Gemengelage Politik und Bildung hin zum Thema Wahrheit, öffentliche Wahrnehmung und Politik. Sie zeigt uns hier, was es bedeutet Wahrheit zu berichten und was es heißt Geschichten zu erzählen. Sie geht den Problemen nach, was erregt die Aufmerksamkeit und was wird vergessen und wie werden Handlungen geplant zwischen diesen beiden Polen. Letztendlich stößt sie auf das Thema, was halten wir für das Richtige im Umgang mit den Dingen die wir sehen, was ist verantwortliches Handeln und was tun wir, wenn wir das „Richtige“ tun.
Das Staffel 5 auch das Ende der Serie bedeutet, kommt natürlich dem, wie bei jedem Staffel-Ende vorhandenen, Ausblick eine besondere Rolle zu. Die ganze Staffel hinüber scheint bei aller Spannung, bei allen Umgestaltungen, Wechseln, Todesfolgen und so weiter eines klar, es wird sich etwas verändern, aber irgendwie bleibt alles doch so wie es ist. Soziologisch betrachtet könnte man diese Staffel auch wie die Autopoiesis von gesellschaftlichen Subsystemen interpretieren, die alle nach ihrer Logik verfahren und alle in ihrer Logik gefangen bleiben, sei es nun die Politik, der Journalismus oder die kriminellen Drogenhändler.