Die 1970er Jahre sind angebrochen und in der Hippie-Kommune Drop-City findet der ganz normale Hippie-Alltag statt; Drogen, freie Liebe, gemeinsame Essenzubereitung und Verspeisung, eine gesunde Skepsis bezüglich des kapitalistischen Systems bei gleichzeitiger Inanspruchnahme von sozialstaatlichen Leistungen. Wechselnde Bewohner und Besucher kommen nach Drop City auf der Suche nach einem Leben, das versucht dem konformen Dasein eine Alternative aufzuzeigen, oder besser noch, diese Alternative in vollen Zügen zu leben.
Star und Pan sind schon eine kleine Weile im Camp, nachdem sie von der Ostküste hier nach Kalifornien gekommen sind. Während Star ihr Leben, der Freiheit des eigenen Lebensentwurfes widmet, ist Pan eher der hedonistische Typ, der Drogen und andere „Weiber“, so die offizielle Terminologie für Frauen im Camp, ausprobiert. Dazu gesellt sich Marco, Neuankömmling in Drop City, der ein neues Leben beginnen will, weil er vor seinem alten Leben reißaus genommen hat. Und so leben sie in den Hippie-Tag hinein unter der Sommersonne irgendwo im Sonoma County im Norden Kaliforniens.
Sehr viel weiter im Norden der USA, in Alaska, ist der Sommer eher kurz, aber heftig. In Boynton, einer Siedlung die man ohne Übertreibung als das letzte Nest, vor dem Nichts bezeichnen kann, holt der Einsiedler Sess Harder eine Frau ab, die sich als potenzielle neue Lebenspartnerin entpuppen könnte. Pamela möchte ein Leben in der Wildnis führen und schaut sich drei Kandidaten für je drei Tage an, um dann zu entscheiden, mit wem sie den Rest ihrer Tage verbringen möchte.
„Drop City“, T.C. Boyles 9. Roman (und mein 5. von ihm), aus dem Jahr 2003, ist ein sehr gelungenes Porträt der Welt von Aussteigern aus dem alltäglichen Leben von Normalbürgern. Dieser Ausstieg wird von zwei scheinbar gegensätzlichen Enden betrachtet. Auf der einen Seite, die entspannte, freiheitliche und tolerante Atmosphäre in Drop City, welche nach körperlicher Erfüllung sucht und nichts und niemanden ein Leid antun möchte und auf der anderen Seite die Abkehr von Luxus und Zivilisation und der Rückzug zu Dingen welche die Natur liefert in Alaska unter Umständen, die Planung, Umgang und Weitsicht mit den Gewalten der Welt benötigt und einen robusten Umgang mit der Frage des Lebens.
Aus dieser Konstellation heraus entwickelt Boyle einen, wie immer sehr lesbaren Roman, der nicht am Boyle-eigenen-Humor spart und der uns fünf Charaktere präsentiert, die alle irgendwie mit der Welt der Ottonormalverbraucher in New York, San Francisco oder Dresden nichts zu tun haben wollen und etwas anderes suchen, die aber dann doch zu sehr unterschiedlichen eigenen Lebensentwürfen kommen, diese aber miteinander aushandeln müssen. Dabei ist der Blick des Autors wie immer mit einer gewissen Zuneigung zu seinen Helden gezeichnet. Es sind allesamt Außenseiter der Gesellschaft, ohne dass sie unreflektiert simple Folien für Hippies oder Trappern darstellen, sondern als Menschen diese Lebenswege gleichfalls immer wieder abtasten und hinterfragen. Und genau hier gelangt der Leser immer wieder zu Boyles fast unübertroffener Größe; leicht und amüsant zu schreiben und dabei große Themen detailliert auseinander zu nehmen und zu beobachten, das kann man nicht anders als mit dem Prädikat große Kunst zu versehen.
Ein schönes Buch, über heiße Somme und kalte Winter, über alternative Lebenswege und die Frage des Überlebens vor Ort, über Freiheit und Enge, Zusammenhalt und Betrug.