In den Tiefen der Bibliothek meiner Eltern finden sich diverse Klassiker der Literatur und es erstaunt mich immer wieder, wie sehr mein Buchgeschmack so ganz anders geprägt ist und wie lange ich brauchte, um einige dieser Klassiker für mich zu entdecken. Darunter auch ein 1971 gedrucktes Exemplar von Stefan Zweigs schon 1939 erschienen Romans „Ungeduld des Herzens“. Allein dieses kleine Büchlein vom Aufbau Verlag, das tatsächlich im Alter mich um einige Jahre übertrifft, in den Händen zu halten, ist ein wunderbares taktiles Erlebnis. Der Inhalt des Romans verstärkt das Wohlgefühl noch:
Anton Hofmiller ist ein 25-jähriger Leutnant der KuK Armee und ist in einem kleinen Städtchen in der ungarischen Provinz stationiert. Auf Empfehlung des lokalen Apothekers ist es Hofmiller möglich, an dem gesellschaftlichen Ereignis des Ortes teilzunehmen, einen Abend beim Magnaten Lajos von Kékesfalva. Anfangs noch fremdelnd, fühlt sich Hofmiller bald recht wohl in der feinen Gesellschaft, begeht aber beim Tanz einen entscheidenden Fehler, als er Kékesfalvas 15-jährige Tochter Edith zum tanzen auffordert und dabei zu spät bemerkt, dass Edith gelähmt und nicht nur des Umherkreisens zu Musik nicht mächtig ist, sondern noch nicht einmal richtig laufen kann. Hofmiller ist wegen seines Fauxpas entsetzt und verlässt fluchtartig und von sich selbst beschämt das Gelände. Er versucht seinen Fehler am nächsten Tag mit Blumen und einem baldigen weiteren Besuch im Anwesen abzumildern. Tatsächlich entwickelt sich daraus eine Freundschaft mit der Familie, die der Leutnant durchaus genießt, wie folgende wunderschöne Zeilen es beschreiben:
„Mit einem Kognak hinter der Kehle, der einen wunderbar durchwärmt, mit einer schönen, schweren Zigarre, deren Rauch einem köstlich die Nase kitzelt, mit zwei hübschen, angeregten Mädchen neben sich und nach einem derart sukkulenten Diner fällt es auch dem Dümmsten nicht schwer, aufgeräumt zu plaudern“ (S.52)
Die Treffen bei den Kékesfalvas nehmen bald Hofmillers ganze Freizeit ein und nicht nur seine Kameraden fragen nach seinen eigentlichen Motiven. Ist es das feine, zuweilen sehr geistreiche Leben ohne jede finanziellen Sorgen und militärische Ordonnanz, oder ist es Mitleid mit der verkrüppelten Edith und ein diffuses moralisches Gefühl ihr irgendwie behilflich zu sein?
Stefan Zweigs einzig vollendeter (!) Roman, spielt kurz vor Beginn des 1.Weltkrieges. Tatsächlich ist der Handlungsrahmen überschaubar und umfasst nur wenige Monate. Die Stärke der „Ungeduld des Herzens“ ist die wundervolle und heute natürlich leicht antiquierte Sprache des Werkes auf der einen Seite und es ist die Präzision, wie Zweig das Gefühlsleben seiner Figuren analysiert. Der Hauptheld und Ich-Erzähler Hofmiller, verfängt sich immer mehr in einem sozialen Netz aus Mitleid, Liebe, Verpflichtung, Hoffnung und gesellschaftlicher Rolle. Der Leser bekommt allein an der Figur Hofmillers ein Porträt menschlicher Empfindungen aufgeführt, das wie ein Schiff im hohen Wellengang hin und her geschüttelt wird und immer wieder den „richtigen“ Weg austarieren muss. Um ein weiteres, wundervolles Beispiel aus dem Buch zu geben:
„Bei all unseren Handlungen bietet doch Eitelkeit einen der stärksten Antriebe, und ganz besonders erliegen schwächliche Naturen der Versuchung, etwas zu tun, was nach außen hin wie Kraft, wie Mut und Entschlossenheit wirkt.“ (S.269f)
Hofmiller lebt in einem ständigen Aushandlungsprozess nicht nur seinen Gefühlen gegenüber, sondern auch der Frage von sozialen Zwängen, Moral und Hilfe und er scheint sich – vielleicht aus Mitleid – in ein Netz zu verrennen das sich immer dichter und tragischer nicht nur um ihn zuzieht. Dabei könnte man argumentieren, dass die weiteren Figuren, insbesondere Edith (in ihrer egomanischen Opferrolle) vielleicht etwas starr gezeichnet sind, aber genau dadurch lässt Zweig erst die „Ungeduld des Herzens“ entstehen, jene Einstellung die uns zuvorderst fühlen und erst mit leichtem Zeitverzug denken lässt.
Ein großartiges Buch, eines der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren des 20. Jahrhunderts.