Die Finanzkrise 2008 war ein sehr einschneidendes Ereignis in der neueren Wirtschaftsgeschichte unseres immer weiter zusammenwachsenden Planten. Sie war der größte wirtschaftliche Zusammenbruch seit dem 2.Weltkrieg und folgt man der Argumentation des britischen Wirtschaftshistorikers Adam Tooze, war sie eine hochkomplexe Implosion von privaten Finanzmärkten, die Staaten zum massiven finanziellen Eingreifen nötigten, was wiederum starke politische Folgewirkungen hatte.
In einem 800 Seiten starken Sachbuch, anschaulich geschriebener Zeitgeschichte, schreckt Tooze nicht vor der Komplexität des Themas zurück und liefert ein sehr spannend zu lesendes und trotz vieler technischer Termini und zahlreicher handelnder Personen, immer noch sehr gut zu lesendes Buch, welches die Felder von Volkswirtschaftslehre, Politik und Gesellschaft einschließt und ein Panorama gesellschaftspolitischer Wandlung im jungen 21.jahrhundert liefert. Der Leser wird in das Jahr 2000 versetzt und beginnt dort zu erkennen, was Politik und Wirtschaftswissenschaft in jenen Jahren von der Weltwirtschaft und ihren Möglichkeiten und Gefahren hielten. Er erlebt den Zusammenbruch des Bankensystems 2008 mit ihrem Meltdown-Moment, der Lehman-Pleite, als Folge eines privatwirtschaftlichen Hypes des Immobilienmarktes und sieht, was für eine immense Bedeutung der Dollar, aber auch der Finanzplatz London hatten (und insbesondere für den Dollar auch haben) und wie insbesondere die europäischen Banken bei diesem Hype groß mitspielen und dann ebenso tief fallen. Wir sehen, wie erst die Bush-Administration und dann später die Obama-Regierung in den USA mit der Krise umgingen und wie Europa durch eigenes Verschulden in eine Staatsfinanzkrise gelangt, die am intensivsten Griechenland trifft, aber den ganzen Euroraum fast zum Kollaps brachte und aufzeigt, wie langsam und schleppend europäische Politik funktioniert (hat). Wir sehen, wie finanzpolitische Sichtweisen, Politik beeinflussen und andersherum, wie Banken, die zu groß sind, um sie scheitern zu lassen gerettet werden und wie viele Millionen Menschen unter den Folgewirkungen leiden. Tooze schaffte es ebenso zu zeigen, wie diese Gemengelage zu politischen Konsequenzen führt, wie den Aufstieg nationaler und nationalistischer Themen durch populistische Personen oder Gruppen, dem zunehmenden Zerfall etablierter Parteien und der Erosion des europäischen Gedankens.
Adam Tooze legt nicht weniger als ein Buch über die Weltpolitik und die Weltwirtschaft vor, das noch so nah an unsere Gegenwart reicht, dass es fast schon mehr ein Debattenbeitrag, als ein zeitgeschichtliches Werk ist. Größtenteils bedient der britische Autor sich einer amerikanischen Perspektive und er stellt dabei immer wieder die Rolle der Federal Reserve, der amerikanischen Notenbank, in den Vordergrund, aber „Crashed“ ist ein wahrhaft globales Buch, dass den begeisterten Leser hinter die Kulissen medial verkürzter Inhalte zu Politik, Wirtschaft und Finanzwelt führt. Auch wenn dieses Buch sehr kritisch mit der Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel umgeht, ist es eine große Freude, auch solch ein lesenswertes und in seiner dichte und Komplexität sehr kluges Werk bei den Zentralen für politische Bildung in unserem Land zu finden (was man als wunderbare Entgegnung der gern ritualisierten Echos benutzen kann, man könne nicht mehr seine Meinung veröffentlichen). Eines der besten politischen Sachbücher der letzten Jahre und eine Leseempfehlung für jeden der durch die komplexen Wirren und der Konsequenzen der Finanzkrise und der Politik geführt werden möchte.