Alexander Osang – Königstorkinder

Erschien 2010 bei S.Fischer, hier in der Taschenbuchausgabe von 2012 mit 336 Seiten

Wie bereits einmal an dieser Stelle erwähnt, habe ich großen Gefallen an Literatur von Alexander Osang gefunden, weshalb sein 2010 erschienener Roman „Königstorkinder“ für meine sommerliche Leseliste beschafft wurde. Was ich beim Erwerb des Buches nicht wusste, war dass der Inhalt durchaus einen biografischen Bezug hat, mit meinem Leben in jenen Jahren.

Andreas Hermann ist Anfang 40 und in seiner beruflichen Karriere in einer Beschäftigungsstelle angekommen. Es ist also noch Luft nach oben für den nächsten Karrieresprung. In seiner kleinen Wohnung im Prenzlauer Berg hat er einen alten Schreibtisch aus einer Haushaltsauflösung eines verstorbenen Professors eingelagert. In diesem findet er ein schwarzes Tagebuch, was der Professor in seinen letzten Monaten verfasste, als dieser wusste, dass er unheilbar erkrankt war. Dieses Fundstück teilt Andreas mit Ulrike, einer verheirateten Frau aus der begüterten Nachbarschaft, in welche er sich verliebt hat.

„Königstorkinder“, 2010 geschrieben, fasziniert mich, weil es in einer Zeit spielt, in welcher mein Arbeitgeber auch eine Beschäftigungsgesellschaft war, wenngleich nicht so eine originelle und künstlerisch wertvolle, wie jene Andreas Hermanns, wo er als Schauspieler, Buchautor und Mann für alle möglichen Dinge arbeitet. Doch Osang erzählt nicht nur charmant und witzig von einem kreativen Sammelbecken beruflich angeknackster Karrieren, er schreibt mit „Königstorkinder“ auch einen tiefsinnig beobachteten Berlin Roman über Gentrifizierung, die Nachbarschaft und die Frage nach neuer Heimat und alter Herkunft. Gleichzeitig ist das Buch eine wunderschöne Liebesgeschichte einer Affaire, deren Kraft und Intensität sowohl in der Kürze als auch in der Unmöglichkeit ihres Bestehens zu scheinen liegt.

Abgerundet wird dieser sehr vergnügliche Roman mit einem sehr spannenden Ende, dass ich an dieser Stelle kurz Teasern muss. Das letzte, sehr kurze, Kapitel „Mäusejagd“ ließ eine Enttäuschung bei mir aufkommen, die bei nur kurzer Reflektion als Lesender über die Handlung aber eigentlich nicht logisch erscheint. Das muss ich kurz erläutern.
Die von Osang beschriebene Geschichte von Andreas Hermann, wird den Großteil des Buches als eine Erzählung in einer psychologischen Praxis geführt, in welcher Andreas Hermann einem Arzt gegenüber berichtet. Man nimmt an, sie betrifft die letzten (im Sinne von gerade gelebten) Wochen von Hermanns Dasein. Es stellt sich ganz am Ende jedoch heraus, dass Herrmann alles nur erfunden hat (die Frage der Motivation, warum er dem Arzt die Geschichte auftischte, ist an dieser Stelle nicht wichtig). Das Spannende ist aber die Reaktion als Leser (oder um genauer zu sein, meiner Reaktion als Leser). Warum war ich enttäuscht darüber, dass die erzählte Liebesgeschichte des Romans, nur eine spontan erfundene Geschichte von Hermann war? Es scheint, als wäre der Wert der Erzählung heruntergesetzt, weil die Dinge, die der Romanfigur Andreas Hermann passierten, nicht tatsächlich passiert sind, sondern er sie sich nur ausgedacht hat. Eigentlich sollte das für mich als Leser vollkommen egal sein, denn übergeordnet sind alle Ebenen der Erzählung ja nur Geschichten, die von die von Alexander Osang erfunden worden. Real ist keine von ihnen, es sind alles nur Geschichten. Und doch ist man enttäuscht zu lesen, dass die Geschichte des Haupthelden sich nur im Kopf des Haupthelden abspielte. Und das Osang diese Enttäuschung beim Leser provoziert ist großartig, denn sie erinnert uns daran, dass Geschichten nur Geschichten sind, dass diese aber immer auch etwas mit der Welt (der realen Welt, wenn sie so wollen, geneigter Leser) zu tun haben und ohne diese nicht funktionieren würden. Und vielleicht macht es die Güte der Geschichte aus, ob man in der erstellten Realität dieser Geschichten mitschwimmen kann, sich wiederfindet, die Welt, so wie sie einem erscheint, erkennt oder anders gewendet, ob die künstlerische Darstellung verfängt.
Wer also nach einer Liebesgeschichte, einem Berlinbuch oder gar ein kleines Gedankenexperiment über die Rolle des Geschichtenerzählens sucht, der wird bei diesem herrlichen Roman sicherlich fündig.

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