aus der Reihe: „aus fremden Regalen“
Erschien 1944 in englischer und spanischer Übersetzung und 1947 erstmals im Original auf Deutsch (in der Berliner Zeitung) | hier vorliegend in der Ausgabe des Aufbau Verlages 1985
Seit ich Christian Petzolds Film „Transit“ sah, nahm ich mir vor, irgendwann einmal die Romanvorlage von Anna Seghers zu lesen. Diese fand sich in der Bibliothek meiner Eltern. Ich zupfte mir das Buch aus dem für meine Verhältnisse ungeordneten Büchermeer heraus und beendete mit der Lektüre des Romans das Bücherjahr 2022.
Der Ich-Erzähler namens Seidler sitzt in einem Café in Marseille und erzählt dem Leser seine Geschichte, die mit dem Untergang eines Schiffes beginnt, auf welchem Seidler jedoch nicht Passagier war (und welches tatsächlich das Ende der chronologischen Handlung des Romans darstellt). Wir sind im 2.Weltkrieg und Seidlers letzte Zeit handelt davon, dass er aus Nazi-Deutschland flüchten musste und in Frankreich sein Heil sucht. Doch das Land wird von den Deutschen erobert und die Hauptstadt Paris ist besetzt. Dort übernimmt er einen Auftrag für einen Freund und bringt einen Brief zum Schriftsteller Weidel. Dessen Wirtin erklärt Seidler, dass Weidel sich umgebracht habe und sie seine sterblichen Überreste ohne viel Aufhebens entsorgt hat, weil sie Angst vor den Behörden hat, es sind halt komplizierte Zeiten. Einzig ein Koffer sei geblieben, welche sie Seidler übergibt. Dieser Koffer ändert für Seidler viel und er gelangt letztendlich nach Marseille, wo er durch die Papiere Weidels, die im Koffer lagen, eine Chance auf ein Visa und eine Ausreise aus Europa hat. In Marseille, dass noch von Franzosen verwaltet wird, scharren sich viele Flüchtlinge, um den Kontinent zu verlassen. Hier lernt Seidler auch einen deutschen Arzt kennen und später dessen Freundin Marie, welche ihm schon vorher als betörende und geheimnisvolle Fremde aufgefallen war, die durch die Cafés der Stadt eilt, um dort jemanden zu finden.
„Transit“ ist ein urbanes Buch, das größtenteils in Marseille spielt, in seinen Cafés, im Hafenviertel und den Straßen der Altstadt wie der „Canebière“. Seghers porträtiert eine Stadt, die sich in zwei Teile aufspaltet. Es gibt Menschen, die in der Stadt bleiben und Andere, welche hier nur zum „Transit“ sind und schnellstmöglich weiterreisen wollen, dies aber aus bürokratischen oder finanziellen Gründen nicht können. Obwohl das Wort „Transit“ bei Seghers zumeist im inhaltlichen Zusammenhang mit einem Transitvisum verwendet wird (also einem Papier, das diverse Staaten zur Erlaubnis zur Durchreise aushändigen und ohne dessen Erhalt man nicht einreisen kann) ist dieses (wie ich finde schöne) Wort bezeichnend für die Grundstimmung des Romans, als Zustand der Durchreise, der Bewegung, der Nicht-Bleiben-Könnens, des Nicht-Abschließen oder zur Ruhe-kommen. Diesen Druck ausreisen zu müssen, den Verlust der Heimat, aber auch die Hoffnung auf die „Neue Welt“ vermittelt der Roman eindrücklich. Hier liegt die große Stärke des Buchs, das auch von Seghers eigenem Schicksal kündet (sie selbst reiste über Marseille nach Mexiko aus, wo sie den Roman schrieb). Ein zweiter Aspekt des Textes liegt in der Transformationskraft der eigenen Persönlichkeit, welche hier die Flüchtlingssituation mit sich bringt. Wer ist man und wer will bzw. muss man sein, um den Transitzustand zu verlassen und aus der Katastrophe zu gelangen, um ein neues Leben zu beginnen. Im Roman spielt sich dieses Thema an der Figur Seidler durch und der bürokratischen Inanspruchnahme der Identität Weidlers und dessen immer wieder phantomhaftes Auftreten.
Als Buch, das die starren Reglungen einer Bürokratie anprangert, die über Weiterleben oder Verderben entscheidet, ist dieses Buch vielleicht etwas in die Jahre gekommen, aber immer noch ein Zeugnis für die Fänge, die Menschen erlebt haben (und heute vielleicht in anderer Form und an anderen Orten wieder erleben). Auch wenn der Stil Seghers etwas antiquiert wirkt und sie immer wieder Nebenhandlungen aufmacht, die jedoch das Leben des Transits gut in seiner Wechselhaftigkeit und Unstetigkeit beschreiben, ist der Roman auch heute noch sehr lesenswert.