Jahr: 2023 | Regie & Drehbuch: Wes Anderson (Drehbuch mit Roman Coppola) | Spielfilm | 106min
Was ist der wesentliche Blick auf die Welt? Was nehmen wir als wichtig an – und was ist wirklich wichtig für uns? Persönlich darf ich an dieser Stelle verraten, dass ich mich in letzter Zeit vielleicht etwas zu intensiv über wirtschaftliche Zusammenhänge auf dieser Welt informierte und obwohl diese spannend und auch sehr komplex sind, bleiben sie doch immer auch eigentümlich aussagelos und bedeutungsunschwer.
Glücklicherweise wurde ich auf den Film „Asteroid City“ hingewiesen, der mir wieder meine Augen öffnete, dass wirkliche Tiefe woanders zu finden ist, beispielsweise dort wo darüber reflektiert wird, was man eigentlich auf dem Planeten so treibt. Ganz prinzipiell ist dies auch die Frage von Wes Andersons 11. Kinofilm „Asteroid City“.
Conrad Earp (Edward Norton) schreibt ein Theaterstück über einen fiktiven Ort in der Wüstensiedlung Asteroid City, wo vor 5.000 Jahren ein Meteorit eingeschlagen ist und man den hübschen Stein aus dem All noch heute sehen kann. Dort treffen sich begabte Jugendliche, um Preise für ihre wissenschaftlichen Arbeiten zu erhalten. Darunter Woodrow Steenbeck (Jake Ryan), der mit seinem Vater Augie (Jason Schwartzman) und seinen drei Töchtern (respektive Schwestern) allerdings eine Autopanne hat. Was Woodrow nur ahnt ist, dass Augie das Ableben der geliebten Mutter auch drei Wochen nach deren Tod, der Familie noch nicht erzählt hat, von Großvater Stanley Zak (Tom Hanks) aber gedrängt wird, den Kindern die Wahrheit nun endlich zu vermitteln. Während die Familie ihr Drama aufarbeitet, treffen weitere Personen in Asteroid City ein. So die Starschauspielerin Midge Campell (Scarlett Johansson) und ihre hochbegabte Tochter Dinah (Grace Edwards), eine Schulklasse unter der Leitung der Lehrerin Lena Schmidtke (Maya Hawke), eine Band des Cowboys Montana (Rupert Friend) oder die Wissenschaftlerin Dr. Hickenlooper (Tilda Swinton). Sie alle erhalten vom Hotelbetreiber (Steve Carell) einen passenden Raum und die Möglichkeit weiter Geld auszugeben, so wie es sich in Amerika gehört. Doch außergewöhnlich wird es erst mit der Ankunft eines sehr weit anreisenden Gastes (Jeff Goldblum), der den Stein von den Sternen mopsen möchte.
Während wir der Handlung des Stückes folgen, werden immer wieder Szenen gezeigt, wie Earp sein Werk schreibt und Proben lässt. Dieser Handlungstrang wiederum wird von einem Fernsehmoderator (Bryan Cranston) erzählt, der eine Dokumentation über das Stück kommentiert.
„Asteroid City“ ist ein etwas komplexes, aber fantastisches filmisches Werk von Wes Anderson und vielleicht sein bisher bester Film. Das hat verschiedentlichste Gründe. Zum einen ist da wieder die auffällige Optik von Anderson, diesmal in der Bildsprache der 1950er gehalten, die in eine Wüstenoptik eingebaut wurde (ganz spannend an dieser Stelle ist der Fakt, dass der Film nicht in den USA, sondern in Chinchón, einen Vorort von Madrid gedreht wurde, was man dem Film in keiner Sekunde ansieht) und die eine ästhetische Zwischenwelt aus Theaterbühne und Filmkulisse abbildet. Das erlaubt uns wunderschöne Bilderwelten zu beobachten, die manchmal an die Melancholie Hopperscher Gemälde erinnern, manchmal an Filmposter vergangener Epochen.
Mindestens ebenso imposant ist die Verknüpfung der Erzählebenen, die dem Film ganz viel Spielraum für (Selbst)-Referenzialität lassen. Auf der Ebene des Theaterstücks haben wir eine reichbebilderte Welt mit Fiktionen, die immer mal wieder aus der Realität ausbrechen, nur um uns gewahr zu machen, dass Texte diesen Ausbruch ins Fantastische benötigen, um über unsere Realität erzählen zu können. Auf der Ebene der Dokumentation des Theaterstückes liegt Andersons Betonung, auf der Erschaffung einer künstlerischen Realität und deren Einflüsse aus einer sich irgendwie ergebenden Umwelt. (Spannenderweise könnte man auch den Film „Asteroid City“ im von Anderson geplanten Produktionsprozess als eine Spiegelung dieser Ebene sehen, denn die gesamte Crew wurde im altehrwürdigen Parador-Hotel von Chinchón untergebracht und sorgsam von der recht neugierigen spanischen Öffentlichkeit abgeschottet und vielleicht spiegelt ja die Theaterklasse, die Earp im Film besucht etwas von der Stimmung im Parador-Hotel wieder).
In einer ganz wundervollen Szene zeigt uns Anderson aber auch die Kraft (vielleicht auch die Verzauberungsfähigkeit) eines künstlerischen Textes, der gar nicht unbedingt so schauspielerisch inszeniert werden muss, wie er vordergründig inhaltlich wirkt, sondern der auch so inszeniert werden kann, dass nur die Kraft des Textes betont werden kann. Diese wirklich wunderbare Inszenierung eines Textvortrages finden wir, als der Schauspieler von Augie, mit einer anderen Schauspielerin (Margot Robbie) auf einem Balkon über dem Broadway spricht und sie einen Dialog aufsprechen, der selbst in der einfachen Text-Repetition eine gewaltige Stärke entfacht (und der bezeichnenderweise im Theaterstück von Earp weggekürzt wurde).
Eine weitere Besonderheit ist die Ansammlung von Stars, die ich in dieser Dimension noch nie gesehen habe. Das wirkt fast schon wie Verschwendung, denn in den kleinsten Rollen finden sich immer noch Superstars (z.B. William Dafoe, Matt Dillon, Adrian Brody). „Asteroid City“ wirkt wie ein Wimmelbild, bei dem man Stars erkennen kann und genau dies inszeniert der Film auch mit seinen Verweisungen und seinen bedeutungsschweren Referenzen und seiner Bildersprache. Man hat immer wieder das Gefühl Szenen nochmal ansehen zu müssen, weil man einfach nur ein Viertel vom dem mitbekommen hat, was man mitbekommen könnte.
„Asteroid City“ ist ein Meisterwerk sowohl was seine Erzählung über Familie, Trauer, Liebe, Einsamkeit und Zusammensein mit Menschen als Themen betrifft, als auch in der Reflexion über die Rolle von Erzählungen. Und es ist ein großartiger Streifen in seiner Bildersprache und in den Charakteren, die in diesen Bildern spielen. Ein großartiger Kandidat für den Film des Jahres.