Jahr: 2021 | Regie: Detlef Buck | Drehbuch: Detlef Buck, Daniel Kehlmann | Literaturverfilmung | 114min
Jetzt, da der Juni vorbei ist, erscheint es mir leider umso klarer; es gibt keinen schöneren Monat im Jahr! Der Sommer hat begonnen und liegt doch vor einem, die Tage sind endlos lang, die Dunkelheit nur dazu da, um sich abzukühlen oder Sterne zu beobachten. Für mich ist Juni, das noch aus meiner Kindheit und Jugend herstammende Gefühl, dass der Stress des Schuljahres endet, die Zensuren im Kasten sind (und irgendwie den Eltern beigebracht werden müssen) und nun endlich der Sommer beginnen kann (auch wenn dieses Gefühl eine jahrzehntealte Erinnerung ist, die übrigens in der Serie „Sex Education“ gut vermittelt wird, ist es ein für den Juni immer noch sehr schönes Bild). Der Juni ist die Zeit, wo der Sommer starten kann und wo er doch irgendwie schon seinen Höhepunkt erreicht, ohne dass man es merkt.
Tatsächlich kann ein Juni aber auch sehr verregnet sein, noch blöder ist es, wenn man in diesem Monat Lasten trägt, die man gar nicht tragen wollte und die einem manchmal fast zu schwer vorkommen. Umso schöner ist es aber, wenn diese Lasten im Juli gar nicht mehr schwer wirken! Jetzt, da der Juni vorbei ist, habe ich das Gefühl diesen schönsten aller Monate irgendwie verpasst zu haben, aber dieses Gefühl habe ich jedes Jahr, mit einer kleinen Varianz der Stärke. Was dieses Jahr unterscheidet, geneigter unbekannter Leser dieser Zeilen, ist dass ich im Juni tatsächlich zu kaum Kultur kam, weshalb der Juni 2024 eintragslos auf diesem Blog blieb. Doch nun ist Juli, man wird älter und hofft wieder mehr seine Notizen zu den Dingen vermerken zu können, welche etwas über die Welt und deren Leben aussagen könnten und deshalb soll diese kleine Juni-Elegie an dieser Stelle enden.
Nach einer längeren Filmpause habe ich mich sehr gefreut mit der deutschen Literaturverfilmung den ersten Film des Sommers gesehen zu haben. Detlev Buck inszeniert in seiner 27. Regiearbeit (!) einen Teil großer deutscher Literatur mit der Verfilmung von Thomas Mann Romanfragment „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ (in diesem Zusammenhang muss ich übrigens bemerken, dass ich das Wort „hochstapeln“ für ein wunderschönes deutsches Wort halte).
Felix Krull (Jannis Niewöhner) hat zwei Sachen in die Wiege gelegt bekommen, sein gutes Aussehen und einen Hang Rollen spielen zu können, die ihn gesellschaftlich gelegen kommen. Seine Kindheit ist von Schicksalsschlägen geprägt, als sein Vater irgendwann um 1900 herum nicht nur Pleite geht, sondern auch aus dem Leben der Familie scheidet. Krull verlässt die Heimat und beginnt als Liftboy in einem Pariser Nobelhotel, wo er nicht nur auf jede Menge Menschen trifft, die sich gern nehmen, was sie wollen, ohne zeigen zu wollen, was sie wollen. So wie beispielsweise die reiche Witwe, Madame Houpflé (Maria Furtwängler) oder der herrische Chefkellner Stanko (Nicholas Ofczarek), der den anderen Mitarbeitern Gebühren abnimmt für Dinge, die eigentlich gar nicht passieren dürfen. Krull lässt sich von all dem nicht beirren, erfasst die „geheimen“ Regeln des Hotel-Lebens von Wunsch und Nachfrage, Kunde und Bedienstetem, Geld-Adel und niederer Stellung und wendet sie zu seinem Vorteil an. Tatsächlich ist der Hauptteil der Filmhandlung auf einen Restaurantbesuch von Krull mit dem Marquis de Venosta (David Kross) fokussiert, wo nicht nur Krull seinen Lebensweg darstellt, sondern wo der Marquis sein Leid darstellt, das darin besteht, dass er in die Nichtadlige Zaza (Liv Lisa Fries) verliebt ist, was wiederum ein Problem darstellt, da seine Familie eine solche Verbindung nicht toleriert und er zu einer einjährigen Grand Tour aufbrechen soll. Das sollte sich doch eine Lösung finden, wobei Zaza eine Geschichte mit Felix hat und eigentlich auch gar nicht Zaza heißt.
Detlef Buck erschafft mit der Verfilmung des mir leider unbekannten Romanfragments von Thomas Mann einen unterhaltenden Film, der eigentlich zeitlose Themen anspricht; wie die Frage, wer wir sind und wie wir in einer Gesellschaft uns geben (müssen), um ein Leben zu führen, das wir leben wollen. Anders gewendet könnte man sagen, wie authentisch sind wir im Umfeld der auf uns einwirkenden Welt.
Doch hier fängt mein kleines Problem mit dem eigentlich sehr soliden Film von Buck an. Statt eines Blickes und einer Reflektion auf unser heutiges Dasein zuzulassen, erscheint mir der Streifen tatsächlich wie ein Film über die frühen Jahre des 20. Jahrhunderts und deren Aufstiegsmöglichkeiten. Vom Setting her, haben wir eine Art Coming-Up Age Thematik, in welcher ein junger Mensch seinen Platz im Leben finden möchte. Krull ist gutaussehend und weiß sich einen Vorteil zu verschaffen, auch wenn er dafür mit anderen Menschen spielen (oder besser ihnen etwas vorspielen) muss. Das erinnert etwas an die heutigen Influencer, die (so meine persönliche und höchstwahrscheinlich zu naive Vorstellung des Rollenvorbildes der heutigen Jugend im Internet) ihre Rolle in einer Welt darstellen und dabei anziehend aussehen müssen und eine mehr oder weniger glaubhafte Form von Authentizität darstellen, auch wenn diese nur für das Publikum vorhanden sein muss, nicht aber für das eigene Selbst. Aber damit wäre der Zeitbezug des Filmes auch schon abgegolten, zwar wirkt die Eleganz der Sprache Thomas Manns auch im Film fort, aber letztendlich kann man mit ihm nur wenig anfangen, weil er aus seinem Gerüst des frühen 20. Jahrhunderts kaum herauskommt und wir einen Menschen beobachten, der lieber in andere, ihm besser vorkommende Rollen schlüpft. Krull lebt ein Leben, dass andere für die Rollen, die er spielt, erwarten. Authentisch zu sein, heißt an dieser Stelle, dass das Gegenüber die vorgespielte Rolle glaubt, für die eigene Glaubwürdigkeit beim gegenüber zu leben. Doch wie sehr Rolle und Realität verschwimmen können, dass zeigt der Film leider nicht, weil er die wohl wichtigste Entscheidung der Handlung des Films, nämlich für wen sich Zaza als Partner entscheidet, also die Frage, wo die Liebe hinfällt, nicht aus Zazas Perspektive erzählt wird (obwohl Zaza quasi bei Felix in der Schule war). Das der Film an dieser Stelle nicht endet, sondern sich zum hochstaplerischen Meistercoup steigert, dem Bluff des portugiesischen Königs (Christan Friedel) ist zwar für die Charakterisierung Krulls nachvollziehbar, wirkt aber wie ein fast zu vernachlässigender Annex, denn das dieser Coup gelingt, ist ebenso wenig überraschend, wie spannend und es lässt eher einen Zuschauer zurück, der sich fragt, warum macht der Krull das denn nun eigentlich?
„Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ ist ein sehr unterhaltsamer Film mit einem sehr großen deutschen Staraufgebot, aber dann doch insbesondere in seinem Ende etwas glattgebügelte Kinokost, der es an verwertbarer Aussage mangelt.