David Mitchell – Chaos

Warum habe ich eigentlich David Mitchel nicht schon viel früher mal gelesen? Bekannt ist er mir schon seit vielen Jahren, aber irgendwie lag nie ein Buch vor mir. Jetzt endlich bestellte ich „Chaos“, Mitchells ersten Roman aus dem Jahr 1999, dass Teil meiner Sommerbibliothek werden sollte.

„Chaos“, dessen englischer Originaltitel „Ghostwritten“ für den Großteil des Buches besser passt, als die deutsche Kreation (wenn man das Buch beendet hat, dann kann man sich auch mit dem deutschen Titel anfreunden) ist ein Roman, der aus neun längeren Geschichten (und einer sehr kleinen Abschließenden) besteht. Diese Storys sind für sich recht vielfältig und teilweise wundervoll geschrieben. Wir erleben einen Terroristen auf der Flucht, eine junge Liebe in Tokyo, einen mitgenommenen Bänker in Hongkong, eine Reise durch die Mongolei, eine von ihren Reizen überzeugte Museumswärterin in St. Petersburg, einen Musiker und Ghostwriter in London der Erfolg bei den Frauen, aber kein Geld hat, eine Wissenschaftlerin auf der Flucht auf einer einsamen irischen Insel und eine Radiotalkshow in der Nacht New Yorks.
Alle diese Geschichten sind für sich genommen schon wundervolle Erzählungen. Sie sind alle in der Ich-Form geschrieben und lassen den Leser in unterschiedlichste Personen eintauchen, die zwar nicht immer sympathisch, aber jederzeit eine spannende Geschichte zu berichten haben. Dabei erleben sie Liebe, Hass, Gewalt, Erleuchtung oder Enttäuschung.
Zusätzlich ist Mitchell ein hervorragender Beobachter und Beschreiber von Orten und man lernt viel über die Städte und Plätze, die er in „Chaos“ einbaut. Er schafft es auch wundervoll komische Passagen mit Tragik und Spannung abzuwechseln, was dieses Buch sehr, sehr kurzweilig werden lässt. Hier nur ein kleines Beispiel, was genauso zeitgemäß, wie witzig ist (S.523; Beginn des Kapitels „Night Train“): „David Mitchell – Chaos“ weiterlesen

Daniel Kehlmann – Tyll

Vor 400 Jahren versank Mitteleuropa in eine der schlimmsten Auseinandersetzung seiner Geschichte, dem 30-jährigen Krieg. Daniel Kehlmanns 2017 erschienener Roman „Tyll“ blickt auf diese bitteren Zeiten. Der Titel des Romans „Tyll“ lässt dabei an Till Eulenspiegel denken, einer literarischen Figur, die allerdings schon im 14. Jahrhundert auftauchte und als umherreisender Schalk, den Menschen einen ungeschönten Spiegel vors Gesicht zu halten. Daran knüpft Kehlmann an, wobei er nicht eine eine fiktive Biographie eines Tyll Uhlenspiegels konstruiert, sondern ein Panorama der Zeit aufzeigt, dass seine Hauptfigur benutzt, um von Ort zu Ort und Person zu Person zu springen. Der Leser sieht Tyll, als Gaukler, Artist und Hofnarren und erlebt, wie Städte vom Krieg heimgesucht, wie Schlachten geschlagen und Menschen der Hexerei überführt werden. Er lernt historische Gestalten kennen, wie den Winterkönig Friedrich V. von der Pfalz und seine Gemahlin Elisabeth Stuart, oder den Universalgelehrten Athanasius Kircher und hat eine Ahnung wie es damals gewesen sein muss in einer Zeit, wo man nur noch Krieg kannte und nichts anderes mehr. „Daniel Kehlmann – Tyll“ weiterlesen

Christoph Hein – Glückskind mit Vater

Christoph Hein schätze ich sehr, weil er über die jüngere deutsche Geschichte außerordentlich lesenswerte Romane verfasst hat, so wie „Landnahme“, einen großartigen Vertriebenenroman, der in der DDR spielt. Ein ähnlich geschichtliches Sujet behandelt „Glückskind mit Vater“ aus dem Jahr 2016.
Der Ich-Erzähler Konstantin Boggosch ist ein angesehener Bürger einer Kleinstadt an der Havel. Er war Gymnasialdirektor und zum Jubiläum der Bildungsanstalt wird er von der Lokalzeitung um ein Interview gebeten. Doch Boggosch ist nicht daran interessiert, denn er möchte die alten Zeiten Ruhen lassen, denn er hat ein (irgendwie offenes und doch verstecktes) Geheimnis, was er Zeit seines Lebens mit sich herumträgt; die Abstammung von seinem Vater, der ein am Ende des Krieges gehängter Kriegsverbrecher war. Obwohl Konstantin erst nach dessen Tod geboren wurde, verfolgt der Vater und sein Wirken für die Nazis im 3.Reich ihm auf Schritt und Tritt und behindern sein Leben in der DDR, woraufhin Konstantin einen Plan fasst. „Christoph Hein – Glückskind mit Vater“ weiterlesen

Karl Hepfer – Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft

Schon im letzten hier vorgestellten Sachbuch über die veränderte Rolle der Medien in unseren Zeiten habe ich versucht näher kennenzulernen, wie heutzutage Informationen gesellschaftlich bewertet und weitergeleitet werden. Dabei maßgeblich sind neue Formen, wie die sozialen Medien, die in der Menschheitsgeschichte einen großen Umbruch einzuleiten scheinen. So stellt Karl Hepfer fest:

„Ackerbau und Industrialisierung haben in der Vergangenheit unsere Lebensumstände jeweils grundlegend revolutioniert. Das allgemeine Überangebot an Informationen ist gerade dabei, dies ein weiteres mal zu tun. Mit einem wesentlichen Unterschied. Denn bei dieser Revolution betrifft die Veränderung nicht mehr die physischen Bedingungen unserer Existenz, sondern vor allem unsere ‚psychische‘ Umgebung.“ (S. 139)

Wir leben in sehr dynamischen Zeiten, die unsere Wahrnehmung der Welt maßgeblich zu verändern scheinen. Ein Merkmal unserer Gegenwart ist das Auftreten bzw. die Wahrnehmung von Verschwörungstheorien. „Karl Hepfer – Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft“ weiterlesen

Sasa Stanisic – Vor dem Fest

Sasa Stanisic gilt als einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren der letzten Jahre. In Buchhandlungen liegen seine Bücher stets gut platziert und immer mal wieder hört man, dass der Vorgang ein Stanisic als Buch zu verschenken, sowohl Schenkenden, als Beschenkten als destingierten Leser auszeichnen. Da traf es sich vortrefflich, dass ich mir Stanisics zweiten Roman „Vor dem Fest“ ausleihen konnte.

Wir befinden uns im kleinen Ort Fürstenfelde in der Uckermark. Es ist Spätsommer geworden und am morgigen Tag findet der Höhepunkt des Kalenderjahres statt, das Annenfest. Sasa Stanisic führt uns durch die Nacht vor dem Fest und porträtiert in vielen kleinen Kapiteln die Bewohner des Ortes, wie beispielsweise Herrn Schramm „ehemaliger Oberstleutnant der NVA, dann Förster, jetzt Rentner und, weil es nicht reicht, schwarz bei Von Blanckenburg Landmaschinen…“, den ehemaligen Postboten Dietzsche, der Hühnereier verkauft, Johann, der das Glockenspielen lernt oder seine Mutter Frau Schwermuth, welche nicht nur das Heimatmuseum leitet, sondern auch so eine Art heimliche Bürgermeisterin von Fürstenfelde ist. Wir begleiten eine Fehe auf ihrem Streifzug durch das nächtliche Fürstenfelde und wir hören von alten Geschichten, Mythen und Sagen des Ortes und der Umgebung. „Sasa Stanisic – Vor dem Fest“ weiterlesen

Robert Seethaler – Das Feld

Paulstadt ist eine Kleinstadt irgendwo im Nirgendwo einer konturfreien Provinz. Harry Stevens kommt jeden Tag auf den Friedhof, um hier zu sitzen und die Stimmen der Toten zu hören und auch wenn er sie nicht verstehen kann, so malt er sich aus, was diese Stimmen sagen könnten. Und so sprechen die Toten von Paulstadt, von ihrem Leben, von ihren schönsten Tagen, von Begegnungen mit anderen Menschen oder von ihrem Sterben. „Robert Seethaler – Das Feld“ weiterlesen

Stephan Russ-Mohl – Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde

Am 31. August 1997 starb Prinzessin Diana bei einem Autounfall, was ein enormes mediales Echo hervorrief. Ich erinnere mich, an jenem Tag auf der Internationalen Funkausstellung gewesen zu sein. Überall flimmerten die neuesten Fernseher und überall sah man Bilder des Unfalls und ein Gefühl tiefer Abscheu überkam mich, wie sehr das Schicksal einer Frau, die mir bisher eigentlich ziemlich egal war, global medial breitgesendet wurde. Ich fing an, Medien zu misstrauen, denn das Entsetzen und die Trauer erschien mir gespielt, weil man gleich im Anschluss an die dick aufgetragene Gefühlssoße, die neusten Bilder und Entwicklungen zeigen wollte oder die eine Millionste Emotion breitdrückte.
Es war auch in jener Zeit, als erste Fernsehformate wie „Canale Grande“ auf Vox oder „Zapp“ im NDR auftauchten, welche als Medienmagazine über die Rolle der Massenmedien sprachen und ich sah diese Sendungen mit großem Interesse, denn hier konnte ich mein kritisches Bewusstsein füttern. Es waren wohl die Tage und Jahre ganz am Anfang einer damals noch unbemerkten Revolution, der digitalen Veränderung unseres Lebens, die uns bis heute die Welt auf ein handtellergroßes Gerät brachte, mit der Möglichkeit, jeden Blickwinkel menschlicher Interpretationsmöglichkeiten auf den Planeten abzurufen.
Das hat viel verändert. Wenn heute über Medien gesprochen wird, dann sehr gern in einem abschätzigen Ton. „Mainstream-Medien“, die auf die eine oder andere hinterlistige Art zu versuchen scheinen, uns zu manipulieren, aber zum Glück hätte man ja diesen einen, total authentischen Artikel im Netz gefunden, der uns davor warnt. War ich nach dem Tod Diana erschüttert und stellte die Rolle der Medien in Frage, so sehr bin ich nun von einer Tendenz des heutigen Zeitgeistes erschüttert, der allen glauben an vorgesetzten Informationen negiert, diesen glauben aber interessanterweise nicht in Frage stellt. Es ist an der Zeit zu hinterfragen, was passiert da? Welche Rolle spielen Medien, was hat sich verändert? Wie wird unsere Welt heute vermittelt? „Stephan Russ-Mohl – Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde“ weiterlesen

Dirk van Laak – Alles im Fluss. Die Lebensadern unserer Gesellschaft. Geschichte und Zukunft der Infrastruktur

Straßen, Plätze, Abwasserleitungen, Funkmasten, Stromleitungen… Unsere Welt ist voller Infrastruktur. Sie bestimmt unser Leben, sie leitet es in Bahnen und bleibt gleichzeitig unsichtbar, wenn Sie funktioniert. Eine Geschichte der Infrastruktur interessierte mich daher sehr und mit großer Freude nahm ich Dirk van Laaks Buch zum Thema zur Hand. „Dirk van Laak – Alles im Fluss. Die Lebensadern unserer Gesellschaft. Geschichte und Zukunft der Infrastruktur“ weiterlesen

T.C. Boyle – Drop City

Die 1970er Jahre sind angebrochen und in der Hippie-Kommune Drop-City findet der ganz normale Hippie-Alltag statt; Drogen, freie Liebe, gemeinsame Essenzubereitung und Verspeisung, eine gesunde Skepsis bezüglich des kapitalistischen Systems bei gleichzeitiger Inanspruchnahme von sozialstaatlichen Leistungen. Wechselnde Bewohner und Besucher kommen nach Drop City auf der Suche nach einem Leben, das versucht dem konformen Dasein eine Alternative aufzuzeigen, oder besser noch, diese Alternative in vollen Zügen zu leben.
Star und Pan sind schon eine kleine Weile im Camp, nachdem sie von der Ostküste hier nach Kalifornien gekommen sind. Während Star ihr Leben, der Freiheit des eigenen Lebensentwurfes widmet, ist Pan eher der hedonistische Typ, der Drogen und andere „Weiber“, so die offizielle Terminologie für Frauen im Camp, ausprobiert. Dazu gesellt sich Marco, Neuankömmling in Drop City, der ein neues Leben beginnen will, weil er vor seinem alten Leben reißaus genommen hat. Und so leben sie in den Hippie-Tag hinein unter der Sommersonne irgendwo im Sonoma County im Norden Kaliforniens.
Sehr viel weiter im Norden der USA, in Alaska, ist der Sommer eher kurz, aber heftig. In Boynton, einer Siedlung die man ohne Übertreibung als das letzte Nest, vor dem Nichts bezeichnen kann, holt der Einsiedler Sess Harder eine Frau ab, die sich als potenzielle neue Lebenspartnerin entpuppen könnte. Pamela möchte ein Leben in der Wildnis führen und schaut sich drei Kandidaten für je drei Tage an, um dann zu entscheiden, mit wem sie den Rest ihrer Tage verbringen möchte. „T.C. Boyle – Drop City“ weiterlesen

Marcus Hernig – China. Ein Länderporträt

Nachdem die letzte Lektüre über China von Stefan Baron mich nicht wirklich überzeugte, war ich erfreut ein weiteres ungelesenes Buch in meiner Bibliothek zum Thema China zu finden (die Bundes- bzw. Landeszentralen für politische Bildung sind beim Thema China glücklicherweise großzügig mit Veröffentlichungen). „Marcus Hernig – China. Ein Länderporträt“ weiterlesen