Das Thema Holocaust ist hierzulande – auf Grund historischer Schuldbelastung – ein in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommener Gegenstand. Es ist eine Basis des deutschen kulturellen Gedächtnisses für die größte anzunehmende Schuld und die Verpflichtung, daraus etwas für die Gegenwart und alle Zukunft zu lernen. Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen, trotzdem führt(e) es zu einigen gedanklichen Tabus, zum Beispiel der Frage ob man über Hitler lachen dürfe (man denke an Dani Levys Film „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ aus dem Jahr 2007 mit Helge Schneider und die Diskussion über Film und Gegenstand des Filmes). Etwas länger zurück liegt die Veröffentlichung von Edgar Hilsenraths Roman „Der Nazi & der Friseur“, den der Autor 1971 in den USA veröffentlichte. Obwohl der Text auf Deutsch geschrieben ist und schnell zu einem englischen Beststeller wurde, lehnten über 60 westdeutsche Verlage den Roman ab und er erschien erst 1977 in einem kleinen Verlagshaus in Köln. Grund dafür lag in der Darstellung des Buches über den Holocausts und noch viel entscheidender, der Zeit danach. „Edgar Hilsenrath – Der Nazi & der Friseur“ weiterlesen
Kategorie: Roman
Douglas Coupland – jPod
Ich tippe mit dem Finger ein weiteres Buch um, Autor nie gehört, tipp – weiter – nächster Autor – nie gehört – tipp – weiter – Douglas Coupland – … – Moment, habe ich schon mal gehört, Amerikaner, oder? Einer von diesen neumodischen Schriftstellern?!? Ich entnehme das Buch „jPod“ von Douglas Coupland dem Wühltisch beim Thalia Outlet. Es soll einen Euro kosten. Kann man nicht viel falsch machen, oder!?!
Mehrere Wochen später
Bei der Frage welchen Roman ich als nächstes lesen könnte, wähle ich „jPod“ aus. Aus Neugier. Wie schreibt dieser Coupland, der ja gar nicht Amerikaner ist, sondern Kanadier und der Begriffe wie „Generation X“ prägte (mit dem gleichnamigen Buch)? Auf den nächsten 500 Seiten sollte sich das rausfinden lassen. „Douglas Coupland – jPod“ weiterlesen
Siri Hustvedt – Die Verzauberung der Lily Dahl
Vor doch schon recht vielen Jahren las ich Siri Hustvedts ziemlich großartigen Roman „Was ich liebte“ und so war es schnell klar, als ich durch eine günstige Fügung an ihren Roman „Die Verzauberung der Lily Dahl“ kam, diesen auf meine Sommerleselist aufzunehmen. Tatsächlich ist das letztgenannte Werk, der etwas ältere Titel und kam bereits 1997 heraus („Was ich liebte“ folgte dann 2003), aber beide Romane gelten als Hustvedts bekannteste Literaturen. „Siri Hustvedt – Die Verzauberung der Lily Dahl“ weiterlesen
Christian Kracht – Imperium
Das 20. Jahrhundert kann man ohne viel geschichtliches Hintergrundwissen und Fantasie als das Säkulum der in der Praxis durchgeprobten Ideologien interpretieren. Teilweise waren diese Ideengebäude äußerst instabil und orientierten sich eher an den personifizierten Verkörperungen ihrer Führer als an logischer Stringenz, was nicht wirklich so dramatisch gewesen wäre (auch heute gelten ja starke Führerpersönlichkeiten immer noch als en vogue), hätten nicht viele Millionen Menschen ihr Leben lassen müssen, nur weil sie nicht in den kleinen Baukasten der Weltanschauung passten, mit welchem jeweils gerade die Welt verändert zusammengebastelt werden sollte. „Christian Kracht – Imperium“ weiterlesen
Paul Auster – Unsichtbar
Sie lesen im Folgenden einen Beitrag über Paul Austers Roman „Unsichtbar“ der 2011 veröffentlicht wurde. Ich gebe zu, ich erlag vor der Lektüre des etwas mehr als 300 Seiten langen Buches, der Vorstellung irgendetwas nicht Sehbares, vielleicht Gespenstisches (ein Geist?) würde in Austers 13. Roman eine Rolle spielen. Wenn Sie auch diese Hoffnung haben, muss ich Sie warnen, dem ist nicht der Fall. Vielmehr bezieht sich der Titel auf ein Phänomen im Umgang mit unseren Leben und deren Betrachtung, welchem sich der Text annimmt. Doch bevor das näher ergründet werden soll, als Erstes eine kurze Einführung in den Inhalt der Handlung:
Im Frühjahr 1967 trifft der Student Adam Walker auf einer Party in New York auf das französische Pärchen Rudolf Born und Margot Jouffroy. Born bietet Walker einen Job an, doch im weiteren Verlauf des Frühjahrs zeigt sich, dass nicht nur Born ein sehr geheimnisvoller und wenig vertrauenerweckender Typ, sondern sogar gefährlich ist. Nachdem Walker den Sommer in New York mit seiner Schwester Gwyn verbringt, versucht er sich im Herbst des gleichen Jahres als Austauschstudent in Paris, wo er erneut auf Born trifft, der aber nun nicht mehr mit Margot zusammen ist, sondern mit der Französin Hélène und ihrer 18-jährigen Tochter Cécile lebt.
Die Geschichte wird nur zum Teil von Walker erzählt, sondern in weiten Teilen von einem ehemaligen Studienfreund, dem heutigen Schriftsteller James Freeman, den Walker kurz vor seinem Tod 2007 kontaktiert und ihm die Manuskripte seiner Erinnerungen an das 40 Jahre zurückliegende 1967 zusendet. Es handelt sich bei Austers Roman also um ein Buch-im-Buch, das zahlreiche Perspektivenwechsel des Erzählers vollzieht. „Paul Auster – Unsichtbar“ weiterlesen
Carmen Stephan – Mal Aria
Kennen Sie Menschen denen Mücken sympathisch sind? Zugegeben es sind nicht wirklich possierliche Tierchen (wie, sagen wir mal – Igel), machen keine verzückenden Laute (wie Wale) und was wirklich nervt ist die Stecherei dieser Biester. Mensch und Mücke – so kann ich als Vertreter der erstgenannten Gattung sagen – sind nicht wirklich Freunde fürs Leben. Carmen Stephan macht jedoch eine Mücke zum Haupthelden ihres Romans „Mal Aria“. Diese sticht im brasilianischen Urwald die Deutsche Carmen, welche hier gerade mit ihrem Freund Carl Urlaub macht. Bei der Mücke handelt es sich um eine Anopheles-Mücke, welche Malaria Parasiten in sich trägt und Carmen mit der Krankheit ansteckt. Die Mücke – sich ihrer Tat bewusst – verfolgt im weiteren Verlauf Carmen und bemerkt bald, wie die Krankheit bei Carmen ausbricht und die Patientin von Krankenhaus zu Krankenhaus in Rio de Janeiro führt. „Carmen Stephan – Mal Aria“ weiterlesen
Daniel Kehlmann – Du hättest gehen sollen
Gute Bücher laden irgendwie automatisch dazu ein, sie nochmal zu lesen. Man beendet die letzte Seite und alles rattert in einem, die eigene Interpretationsmaschine springt an und je nachdem wie diese gerade arbeitet, möchte man dieses, oder jenes, oder lieber alles nochmal studieren, einzelne entscheidende Sätze oder gar nur Wörter finden. So ging es mir auch bei Daniel Kehlmanns Erzählung „Du hättest gehen sollen“, die im Jahr 2016 erschien. Das fällt hier sogar leichter als bei anderen Werken, da sie nicht einmal 100 Seiten zählt. Doch in der Kürze liegt hier trotzdem sehr viel Spannung. Man verlässt das Buch und bleibt doch darin gefangen, denn was genau ist hier eigentlich vorgefallen? „Daniel Kehlmann – Du hättest gehen sollen“ weiterlesen
Gabriel Garcia Marquez – 100 Jahre Einsamkeit
Als einer der bedeutendsten Autoren des sogenannten „magischen Realismus“ Südamerikas gilt der Kolumbianer Gabriel Garcia Marquez. Um einen Eindruck zu bekommen, habe ich mir eines seiner Hauptwerke zukommen lassen, „100 Jahre Einsamkeit“. Immerhin hat Gabo, wie der Schriftsteller von scheinbar fast jedem genannt wurde, gerade wegen dieses Buches 1982 den Nobelpreis für Literatur bekommen. Das Buch wurde über 30 Millionen mal verkauft und in nicht weniger als 35 Sprachen übersetzt, seit es 1967 erstmals in Buenos Aires verlegt wurde.
Nach dem Titel zu urteilen, dachte ich an eine Geschichte eines Verschollenen in der Karibik, etwas Existenzialistischen, aber vorgefunden habe ich eine Familiengeschichte. Und eigentlich ist das Buch noch mehr als das, es ist die Geschichte einer ganzen Familiendynastie.
Die Buendías sind es, die irgendwo – nicht weit weg, aber weit genug weg, von der Küste der Karibik – ein Dorf namens Macondo gründen. Auf rund 450 Seiten werden dem Leser nun sechs Generationen der Familie vorgestellt und beschrieben, wie aus dem verlassenen Flecken Macondo im Nichts Kolumbiens, eine blühende Stadt wird. Gleichzeitig ist damit der Aufstieg des Familienclans verbunden, der den unterschiedlichsten Tätigkeiten nachgeht, vom Erfinden über Militärkarrieren bis hin zum ausschweifenden Leben. In einer schwer zu beschreibenden Zeit, in welche allerdings die Industrialisierung und die Kolonialisierung des Landes fällt, fallen zahlreiche und in schneller Abfloge erzählte Ereignisse; Hochzeiten und Feste aber auch Bürgerkriege, Hinrichtungen und Massaker. „Gabriel Garcia Marquez – 100 Jahre Einsamkeit“ weiterlesen
Thomas Melle – 3000 Euro
In einem Literaturzirkel im Fernsehen hörte ich vor einiger Zeit erstmals den Namen Thomas Melle und weil mich das Gesagte offensichtlich begeisterte, ließ ich mir vor geraumer Zeit ein Roman von ihm kommen, für wenige Euro, denn er war in gebrauchten Zustand.
„3000 Euro“, Melles zweitem Roman, aus dem Jahr 2014, erzählt über zwei Menschen, die in der soziologischen Aufteilung der Gesellschaft eher im Bereich des Prekariats zu verorten sind. Denise sitzt bei lidl an der Kasse und hat vor einigen Wochen etwas Geld hinzuverdient, als sie in einem Porno mitspielte. Jetzt kreisen ihre Gedanken nicht mehr nur noch um die eigene Tochter, die für ihr Alter etwas hinten dran ist, sondern auch um die Gedanken der Menschen die sie täglich begegnet und die Frage, ob diese sie von ihrem freizügigen Auftritt her erkennen. Ihr fällt der Flaschenpfandsammler Anton auf, der scheinbar auf der Straße lebt. Dieser begann seine Karriere einst als begeisterter Student der Jurisprudenz, verfiel aber immer mehr dem Ausgehen, den Partys und dem Alkohol und verlor nicht nur sein Studium, sondern irgendwie auch sein Leben dabei. Jetzt hat er 3000 Euro Schulden bei der Bank und hofft in einem Gerichtsprozess für geschäftsunfähig erklärt zu werden, womit er seine dringendsten Sorgen los wäre. Denise und Anton begegnen sich und fühlen sich zu einander hingezogen und eine Romanze am unteren Ende des gesellschaftlichen Randes beginnt. „Thomas Melle – 3000 Euro“ weiterlesen
Peter Richter – 89/90
Ein sonniger Tag im Herbst 1989. Ein Freund steht vor meiner Tür und fragt ob ich mit in den Fichtepark spielen komme. Ich bin 11 Jahre alt und gebe eher informativ als fragend meiner Mutter meine Absichten bekannt. Und es passiert etwas, was mir bis zu jenem Moment noch nie passiert war, meine Mutter zögert mir zu erlauben, in den Fichtepark zu gehen. Schließlich lässt sie mich doch gehen, betont aber ihr sonst ebenso ausgesprochen, aber zunehmend eher ritualisiertes „Vorsichtig sein“. Irgendetwas musste nicht stimmen und ich hatte keine Ahnung was, jedenfalls war im Fichtepark und dem angrenzenden Spielplatz noch alles beim Alten. Trotzdem hatte sich in mir ein Verdacht eingenistet, irgendetwas geht hier vor sich.
Es sollte sehr viel vor sich gehen, im Herbst 1989 und meine Mutter wusste viel besser als ich das die Stimmung in der Stadt, nein im ganzen Land sich aufgeheizt hatte. Bis zu jenem Moment war ich ein kleines Kind, dass im System gut aufgehoben war und vieles nicht verstand. Erst mit der nun einsetzenden Wende veränderte sich auch mein Blick auf die Welt und Politik wurde erstmals etwas real erfahrbares, weil scheinbar jeder Tag politisch wurde. Die Ereignisse die im Herbst 1989 ihren Lauf nahmen waren also nicht nur weltgeschichtlich von etwas Interesse, sondern sind es auch persönlich für mich geworden.
Genau diese Wendezeit in Dresden beschreibt Peter Richter in seinem Roman „89/90“ ebenfalls, nur war er schon 16, als der Herbst anbrach. Lediglich fünf Jahre älter als ich! Was allerdings fast Generationen der Welterfahrung sind, wenn diese fünf Jahre zwischen 16 und 11 liegen. „Peter Richter – 89/90“ weiterlesen