Auf eine Empfehlung hin, las ich Christoph Heins Roman „Weiskerns Nachlass“, der bei Suhrkamp erstmals 2011 veröffentlicht wurde.
Wir erleben den Alltag des Universitätsangestellten Rüdiger Stolzenburg, welcher gerade 59 Jahre alt geworden ist. Er besitzt eine halbe Stelle am Institut für Kulturwissenschaften an der Universität Leipzig und seine finanziellen und beruflichen Perspektiven sind als sehr überschaubar einzuordnen. Sein Liebesleben ist von gelegentlichen Beziehungen geprägt, welche er nicht zu intensiv gestalten möchte und sein Hobby ist neben einer monatlichen Billardrunde; das Erforschen, Sammeln und Zusammenfügen des Lebens Friedrich Wilhelm Weiskerns zu betreiben, mit dem finalen Ziel, einmal eine komplette Werksausgabe dieses Schauspielers, Schriftstellers und Topographen des 18. Jahrhunderts herauszugeben. Allerdings ist kein Verlag für dieses Vorhaben irgendwie zu begeistern.
In „Weiskerns Nachlass“ tauchen wir ein, in die prekäre Welt der Sozialwissenschaftler. In dieser kann man schon froh sein, eine halbe Stelle zu besitzen und die nächste Schließung des Instituts zu verhindern. Stolzenburg ist quasi Dauer-Pleite, hält sich aber wenigstens zu Gute, etwas Sinnvolles in seinem Leben zu tun. Wobei allerdings das Unterrichten an der Universität ihm immer weniger Freude bereitet. Der Leser begleitet Stolzenburg durch so etwas wie eine Lebenskrise, die nicht wirklich dramatisch, mit dem Ende des Lebens zu tun hat, sondern sich darin ausdrückt, dass die Art und Weise wie Stolzenburg sein Leben führt, immer neu in Frage gestellt wird.
Christioph Hein gelingt es sehr gut, die wirklich wenig rosige Situation für manche Wissenschaftler in den Geisteswissenschaften darzustellen, einer Sparte welche der Zeitgeist der ökonomischen Durchkalkulierung der Lebenswelt, gern das Schild „teures Hobby“ anhängen würde, um damit deren Eindampfen zu rechtfertigen. Übrig bleibt für den Haupthelden Stolzenburg ein Leben, dass zwischen den Polen Armut und geistiger Erfüllung pendelt und das in moralischer und sinnerfüllender Art und Weise sich ständig immer wieder neu fragen muss: „was mach ich hier eigentlich gerade?“ Dieser Grundtenor ist der Stoff für ein lesenswertes Buch. Aber es gibt auch zu bemängeln, dass Hein eine ziemlich ins Auge springende Struktur wählt, dass mehr oder weniger alle Figuren eingeführt werden, um ihre Rolle zu spielen und das ziemlich unüberraschend tun. Weiterhin sind einige Charaktere furchtbar eindimensional dargestellt, insbesondere in der Figur von Henriette. Und auch Stolzenburg nimmt man irgendwie das ein oder andere Statement nicht ab und vermutet dabei lediglich eine erzählerische Weiterleitung, damit das Geschehen weiter vorwärts läuft, eine Art Glattbügeln der Handlung. Das macht „Weiskerns Nachlass“ zu einem realistischen Buch über Sozialwissenschaftler im 21.Jahrhundert, allerdings mit einigen etwas ärgerlichen Schwächen.