Am 12.9.2014 habe ich begonnen „Vergessenheit“ zu lesen. Das ist rein zufällig genau sechs Jahre nach dem freiwilligen Tod von David Foster Wallace (das ich an jenem grauen Nachmittag, an dem der Niesel die ohnehin schon trostlose Haltestelle am Bahnhof Mitte noch grauer und unangenehm feuchter machte und den Lesenden nur Schutz unter der Brücke gewährte, die letzten drei Erzählungen begann, die ich noch nicht von Ihm kannte, war tatsächlich nicht geplant. Ein Zufall, keine geplante Entscheidung, kein feierliches Beginnen an einem Jahrestag, einfach nur Zufall). Es ist das letzte belletristische Buch das mir von DFW blieb. Gestern habe ich es beendet. Es war großartig.
Anders als im Original „Oblivion“, ist der Erzählband im Deutschen in zwei Ausgaben erschienen, zum einen in „In aller Vertrautheit“ und zum anderen in „Vergessenheit“. Dieser Band hat nur drei Geschichten, doch die haben es in sich. War die ein oder anderen Story von „In aller Vertrautheit“ noch manchmal etwas kompliziert zu lesen, sind jene durchgängig und problemlos für den Leser aufnehmbar, auch wenn das ein oder andere Fremdwort von DFW immer eingestreut wird, aber dadurch wird man allenfalls klüger.
Es beginnt mit „Der Spiegel der Natur – Eine Kritik der Philosophie“ einer nur rund 15seitigen Kurzgeschichte über einen sehr großen Sohn und seinen Leidenschaften zu Spinnen und seiner Mutter, die unter den Folgen missglückter Schönheitsoperationen zu leiden hat. Im namensgebenden Titel „Vergessenheit“ erleben wir ein Ehepaar, dass am Rande der Trennung steht, da man sich nicht darauf einigen kann, wer Schuld an den wahrgenommenen Schnarch-Geräuschen der Nacht hat. Zu guter Letzt folgt „TV der Leiden – The Suffering Channel“ eine rund 130seitige Geschichte über die Medien. Diese ist mit Sicherheit das Highlight des Bandes. Sie vereint Beobachtungen über ein Hochglanz – Livestyle Magazin mit den kuriosen Auswüchsen unserer immer vielfältiger werdenden Medienlandschaft, wie dem „Suffering Channel“ der sich darauf spezialisieren möchte, dass ungeschminkte Leid dem Zuschauer zur Verkostung anzubieten. Im Mittelpunkt steht Skip Atwater, Reporter der Zeitung „Style“, welcher sich mit den Moltkes trifft, einer Familie der unteren Mittelschicht. Herr Moltke scheint die Fähigkeit zu haben künstlerische wertvolle Figuren anal ausscheiden zu können, was Atwater für berichtenswert hält und der übergewichtigen Frau Moltke endlich zu Ruhm verhelfen soll. Selten habe ich so kluge Medienanalyse gelesen wie hier (es sei allerdings auch an den hervorragenden Kameramörder von Thomas Glavinic erinnert, der allerdings eher die Medienrezeption beleuchtet, weniger die Generierung von Inhalten). Die Geschichte wirft indirekt einen ungewöhnlichen Schatten auf den 11.September, ohne dass dieser explizit erwähnt wird. Aber nicht nur hier beginnt der Leser zu interpretieren, reflektieren, nachzudenken, kann sich an der einzigartigen Sprache von Wallace begeistern und bemerkt was für grandiose Texte DFW schrieb. Das nie wieder etwas Neues kommen wird, schmerzt. Aber es bleiben die unvergesslichen Meisterwerke und es bleibt der Gang zum Bücherregal, um diese neu zu genießen.