Jahr: 2021 | Originaltitel: „El buen patron“ | Regie & Drehbuch: Fernando León de Aranoa | Länge: 121 min | Satire
Seit dem ersten Lockdown hängt ein Kinogutschein für das Programmkino Ost an meinem Kühlschrank. Da der Vortrag und der nachfolgende Film der kleinen Filmakademie mir nicht sehr verheißungswürdig erschienen, beschloss ich quer durch die Stadt zu radeln (spannend was da so hinter dem Fetscherplatz alles ist) und mir die letzte Vorstellung des spanischen Films „Der gute Chef“ anzusehen, der immerhin sechs Goya Preise[1] in diesem Februar erhielt.
Julio Blanco (Javier Bardem) ist Besitzer und allgegenwärtiger Chef eines Familienunternehmens, das Waagen herstellt.[2] Sein Ziel ist es alles im Gleichgewicht zu halten, gerade in der nächsten Woche ist dies von wichtigster Dringlichkeit, denn der höchste Unternehmenspreis der Regionalregierung wird vergeben und eine Jury hat sich angekündigt, um die Firma zu inspizieren. Gleichzeitig häufen sich aber kleinere Probleme, die in einem gut geführten Familienunternehmen der Chef höchstselbst zu lösen bereit ist. Da ist beispielsweise der ältere Mitarbeiter Fortuna (Celso Bugallo), dessen Sohn abends Menschen nichtspanischer Herkunft verprügelt und im Gefängnis gelandet ist. Oder Miralles (Manolo Solo) der kaum noch seiner Tätigkeit als Chef der Produktion nachkommt, weil ihn seine Frau verlässt. Vor den Werkstoren macht sich der Ex-Angestellte Jose (Oscar de la Fuente) bemerkbar und protestiert gegen seine Entlassung. Gleichzeitig sind die neuen Praktikantinnen eingetroffen und insbesondere die großgewachsene Liliana (Almudena Amor) übt eine starke Anziehung auf Julio aus.
„Der gute Chef“ ist eine Satire auf den männlichen Familienpatriarchen,[3] dessen Weltbild es ist, als guter Boss die Welt in seinem Sinne regeln zu können. Der Film zeichnet nun nicht nur das Geschick des Patrons nach (dass sich mit zahlreichen Widerständen und Überraschungen aufzeigt), sondern es versucht auch eine symbolische Analogie, auf eine patriarchalische Welt zu zeigen. Das gelingt aber nur wenig, zwar hat der Film einige humorvolle und satirische Stellen, aber die Geschichten werden symbolisch so aufgeladen, dass sie immer unrealistischer wirken. Die Figur des Ex-Angestellten Jose ist dafür exemplarisch. Wir erfahren nicht, warum er gefeuert wurde, sondern sehen nur seinen emotionalen Kampf, dessen Motivation sich aber immer mehr wandelt und der gegen Ende des Filmes sinnfrei wird und nur noch darin besteht, wegen des Kampfes und des Gegners zu kämpfen, aber eigentlich keinen Grund mehr hat, wozu es sich lohnt zu kämpfen. Zu allem Überfluss argumentiert Jose dann auch noch damit, sich selten so gut in seinem Leben gefühlt zu haben, ganz ohne Job, Wohnung, Frau, Kinder. Das Ganze lässt sich zwar als Symbol für einen Anarchismus lesen, aber es wirkt halt ärgerlich gekünstelt inszeniert. Das hat auch seinen Grund darin, dass der Film allgegenwärtig nur die Figur des Patrons beleuchtet. Zweifellos glänzt Javier Bardem hier, aber er ist ein eigenwilliger Alleinunterhalter in diesem Film, dass ein bisschen wie ein Jump-n-Run Videospiel anmutet, wo man sich als Hauptheld ins nächste Level retten muss. So schaut man zwei Stunden lang dem Patron bei der „Verbesserung“ seiner Welt zu. Kein schlechter Film, aber eigentlich auch nichts, wofür man durch die halbe Stadt radeln muss.
[1] Der Goya gilt als höchster Filmpreis in Spanien. In seiner diesjährigen 36. Ausgabe wurden 28 Preise (+ zwei Ehrenauszeichnungen) verliehen. „Der gute Chef“ war bei 20 Preisen nominiert, was einen bisherigen Rekord darstellt.
[2] Ich habe tatsächlich fast eine halbe Stunde gebraucht, um zu verstehen das „Waagen“ und nicht „Wagen“ gemeint sind und mir war bis dahin nur die schlechte Kulisse für einen Automobilhersteller aufgefallen, die aber natürlich für einen Waagen-Hersteller vollkommen korrekt ist.
[3] Hier wieder ein Wort zur Übersetzung des Titels. Das spanische Wort „patron“ ist bedeutungsvoller als das deutsche Wort „Chef“ und geht in dieser Hinsicht mehr in Richtung Patron (wenngleich es auch „Arbeitgeber“ bedeuten kann).