2022 ist Geschichte und wie immer, wenn ein Jahr endet möchte ich kurz die Highlights des Jahres in Film, Serien und Buchform wiedergeben, die ich auf tommr.de niederschreiben konnte. Wie es der geneigte Leser dieses Blogs vielleicht bereits gewohnt ist, sollte man meine spleenige Absicht zum Herausstellen von Bestenlisten nicht überbewerten.
Literatur:
Das Jahr 2022 brachte ein paar kleine Neuheiten in meinem Leben, die aber nicht unbedingt relevant für diesen Blog sind. Eine Neuerung ist es aber vielleicht doch, nämlich die Einführung eines Tsundokus-Zählers über dessen Verlauf ich in einem kleinen Kalenderchen (ebenfalls neu) Buch führe. Ich hatte das Wort Tsundoku bereits an anderer Stelle erläutert. Wichtig war es mir dieses Jahr nicht einfach Bücher „blind“ zu erwerben, sondern sie mit bedacht auszuwählen und im Jahresverlauf mehr Bücher zu lesen, als zu kaufen.[1]
Bester Roman: Das Beste kommt manchmal zum Schluss, 2022 traf diese Floskel nicht nur auf den besten Film meines Jahres zu, sondern auch auf den besten Roman und das in einem Jahr, in dem ich das große Glück hatte, wirklich viele gute Bücher zu lesen. Roberto Bolaños „2666“ überstrahlt aber alle anderen Werke und das nicht wegen seiner gewaltigen Länge von 1200 Seiten, sondern wegen seines Feuers, wegen seiner fantastischen Kraft, seinen vielen Ideen, seinem Humor und auch wegen seiner sehr angenehm zu lesenden Seiten. Ein Meisterwerk und hoffentlich ein Anfang, der mich in das Schreib-Universum des chilenischen und viel zu früh verstorbenen Autor führen wird.
Mein Buchjahr 2022 bot aber jede Menge weitere Literaturgroßereignisse. Da wäre David Mitchells Roman „Die Knochenuhren“ unbedingt zu nennen, dass außer im letzten Kapitel ein Höhepunkt des Schaffens des Briten ist. Oder Jonathan Franzen neuer Roman „Crossroads“. Franzen findet hier zu seiner großen erzählerischen Stärke zurück und liefert eine brillante Familiengeschichte, die sich auf ein Weihnachtsfest verdichtet. Jonathan Lethems „Chronic City“ ist ein fantastisches New York Portrait, dass sich gerade im Winter gut lesen lässt, Philip Roths „Die Demütigung“ ein eindringliches Werk über das Älterwerden und den Sinn des Lebens. Nach einem eher schwächeren Roman, den ich 2021 von Haruki Murakami las, war „Naokos Lächeln“ ein wundervolles Buch und beweist, dass der Japaner ein Meister des Porträts menschlicher Beziehungsformen ist.
Das Jahr 2022 war für mich aber auch ein Jahr deutschsprachiger Literatur, so entdeckte ich mit großer Freude Stephan Thome in einem fremden Regal, mit dem Roman „Fliehkräfte“. Ein Text, der fragt, was Bewegung im Leben bedeutet. Ich konnte dann nicht widerstehen, im weiteren Verlauf von 2022 auch seinen Romandebüt „Grenzgang“ durchzulesen. Auch dies ein tiefes, lebensphilosophisches Buch, das als Kulisse ein alle sieben Jahre stattfindendes Fest als Rahmen der Handlung setzt. Weniger Tiefgang, aber sehr viel Humor lieferte der neue Brenner Krimi von Wolf Haas, der alles andere als „Müll“ war. Gleichfalls sehr witzig war Ingo Schulzes Satire „Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst“, eine wundervolle Biographie eines Ostdeutschen.
Den Bereich Sachbuch soll kürzer betrachtet werden, was insbesondere daran liegt, dass ich nicht mehr sicher bin, mit diesem Blog die brillanten und komplexen Ideen die in vielen Sachbüchern stecken korrekt abzubilden. Hier schwebt mir ein anderes Forum in Gedanken vor, dessen Zeitintensität aber beträchtlich wäre und vor dessen Umsetzung ich mich etwas drücke. Heraushaben möchte ich trotzdem Peter Geimers „Theorien der Fotografie“, ein kurzes, aber erleuchtendes Buch für alle, die sich fragen, was über das Fotografieren bisher gedacht und geschrieben wurde.
Serien:
War das Buchjahr 2022 voller Highlights, so kann man das für das Serienjahr 2022 nicht ganz behaupten. Die 4.Staffel von „Westworld“ konnte nicht mit der Qualität ersten Beiden mithalten (wenngleich aber besser als Staffel drei) und auch die 3.Staffel von „Barry“ war sehr, sehr gut, aber auch sie erreichte nicht mehr das überragende Niveau des Vorgängers. Eine Entdeckung war „The Baby“ eine düstere und sehr witzige Serie über ein mordendes Neugeborenes. Ein noch größeres Highlight war das australische Fargo „The Tourist“. Diese Serie hätte gleichfalls zur besten Serie des Jahres gewählt werden können, aber da es nur einen Sieger geben kann, habe ich mich für „Das Begräbnis“ entschieden, da dieses Werk von seiner Produktion lebt und die zeigt, wie großartig deutsche Serienproduktionen sein können.
Film:
Der beste Film des Jahres ist mit großem Vorsprung „Drive My Car“, ein großartiges Meisterwerk über Autofahren, Liebe und Verlust, Sprechen und Theater-Spielen. Obwohl es drei Stunden Spieldauer besitzt, ist hier nicht eine Sekunde des Filmes zu lang, dessen Handlung, Bilder und Schauspieler alle restlos überzeugen.
Erwähnenswert waren aber noch eine Reihe andere Streifen, wie beispielsweise „Höhere Gewalt“ von Ruben Östlund, ein Familiendrama über einen Winterurlaub in den Alpen. Östlunds neuster Film „Triangle of Sadness“ hingegen, an vielen Stellen gefeiert, empfand ich eher als Flop. In Erinnerung bleiben wird auch „Ad Astra“ ein Vater-Sohn-Weltraum-Drama mit Brad Pitt und der Thriller „The Stranger“ der eine innovative Dramaturgie und eine tolle Kamera aufbietet. Von der Atmosphäre her bleiben das surreale „I am Thinking of Ending Things“ und das Familiendrama „Lullaby“ im Gedächtnis, aber auch „Beautiful Day“ der vielleicht dunkelste Film, den ich dieses Jahr gesehen habe. Innovativ und humorvoll war auch die Screwball-Komödie „Take Me“, die ganz wundervoll die Ebenen der Realität auflöst. Auch „Zodiac – Die Spur des Killers“ – fast schon ein Klassiker, den ich jedoch erstmals dieses Jahr sah – löst die hergebrachte Krimistruktur auf, vermag aber trotzdem, oder gerade deshalb spannend und komplex zu sein. Und man darf auch Richard Linklaters „Apollo 10 ½ : Eine Kindheit im Weltraumzeitalter“ nicht vergessen zu erwähnen, eine humorvolle und sehr charmante Rückblende auf die 1960er Jahre.
[1] Der Tsundoku-Zähler verrät, dass mir dies gelungen ist. Ich habe letztendlich 6 Bücher mehr gelesen als erworben.
Ich möchte – als persönliche Note – anfügen, dass dieser Zähler keinesfalls als Glorifizierung der eigenen Lektüretätigkeit in der Öffentlichkeit missverstanden werden sollte, sondern mir tatsächlich eher dazu dient, in simpelster buchhalterischer Tätigkeit, Rechenschaft über ein selbstgesetztes Ziel abzulegen und da dieser Blog (meiner) der Kommunikation mit einer Welt dient, die es zwar einerseits irgendwie geben könnte (also, Sie als Leser), aber andererseits mir immer nur imaginär vorstellbar ist (daher meine Vorstellung von Ihnen, geneigte Leser, als Leser), habe ich mich entschlossen diesen Zähler ganz klein in einer nicht einfach sichtbaren Ecke des Blogs einzubauen. Halten Sie mich gern für einen eitlen Gecken, ich erfreue mich recht simpel der Erreichung des Vorsatzes.