Regie: Claudia Bauer | Länge: 2h 20min | gesehen am 6.10.2022 im Schauspielhaus Dresden
aus der (neuen) Reihe: „Bretter der Welt“
Jetzt ist es ja so! Das Leben gleitet an einen vorbei und es gibt immer wieder Momente, in welchen man bemerkt, dass man mehr zugreifen müsste. Vor etwa einem Jahr schrieb ich die hier verlinkten Zeilen zu Ingo Schulzes Roman „Die rechtschaffenen Mörder“ und nahm mir fest vor, das Theaterstück zum Buch im Schauspielhaus zu besuchen. Es dauerte fast ein Jahr, bevor ich diesen Plan umsetzte (entschuldigend sei auf den leidigen Lockdown in Sachsen verwiesen, der zuallererst mal wieder Kunst und Kultur betraf). Was persönlich noch etwas schwerer wiegt, oder besser gesagt trauriger ist; ich war tatsächlich seit Jahren erstmals wieder bei der Aufführung eines Theaterstücks! Zu dieser Schwerfälligkeit, mich in die heiligen Hallen der Schauspielkunst zu begeben, gesellte sich noch meine Arroganz, die sich nicht vorstellen konnte, aus dem vorzüglichen Buch ein gutes Bühnenstück zu machen.
An dieser Stelle muss ich nun folgendes bemerken. Ich lag falsch und darüber kann ich mich nur freuen,[1] denn „die rechtschaffenen Mörder“ in der Spielfassung von Claudia Bauer, Uta Girod und Jörg Buchow sind eine sehr gelungene Umsetzung eines Romans. Dabei sind aber, (notwendigerweise) Unterschiede zu bemerken. Wie in meinen Beitrag über den Roman (den ich für die arbeitsfaulen Leser unter ihnen, hier nochmals verlinke) festzustellen ist, ist das Buch ein Werk über Bücher, deren Rezeption, ihren kulturellen Wert, aber auch ihrer geistigen Herstellung, des Schreibens.
Das Bühnenstück (dass ohne ein einziges Buch als Requisite auskommt) verwandelt den Schwerpunkt der Welt des Buches, in eine Welt des Textes (in einem sozialwissenschaftlichen Sinne gemeint, als Aussage über die Welt und ihr Erscheinen und nicht in der Betonung als geschriebenes Artefakt). Schnell wird dem Theaterbesucher klar, dass wir hier nicht ein Bühnenstück über einen an den rechten politischen Rand abdriftenden ehemaligen Buchhändler haben, sondern ein Werk, dass über das Verfassen eines Textes erzählt, über dessen Entstehen, Motivation und Authentizität. Als Stilmittel[2] wird dabei eine Videoprojektion verwendet, die einzelne Dialoge an die Bühnenwand projiziert und so die Aussage unterstreicht, dass wir im Stück mehrere Bedeutungsebenen haben; Realität, Wiedergabe der Realität, Interpretation der Realität, Wahrheit und Veränderung der Aussage. Die Videos verstärken also den Eindruck, dass nicht alles genau so passiert sein muss, dass eine Ebene zwischen Realität der Handlung und Erzählung der Handlung eingebaut ist. Tatsächlich werden dabei auch die drei Teile des Buches wiedergegeben, jedoch kann dies hier nicht die Wirkung wie im Roman erzielen, in welchem jeder neue Teil insgesamt eine vollkommen neue Perspektive auf die Handlung aufzeigt. Die Videoprojektionen erscheinen hier als das Aufzeigen dieses Darstellungsproblems, letztendlich bleibt damit aber ein gewisser „Aha-Effekt“, so wie er im Roman erreicht wird aus. Tatsächlich finde ich, driftet das Stück ein wenig zu stark auf die Möglichkeit hin, dass Schultze (großartig gespielt von Moritz Kienemann) der Mörder sein könnte. Aber, so ungewöhnlich das bei einem Stück, welches das Wort Mörder im Titel hat auch ist, das ist eigentlich unwichtig, denn es handelt sich hier um keine Kriminalgeschichte, sondern ein Werk über die Frage der Autorenschaft von Texten und deren Glaubwürdigkeit beim Leser. Dabei hat das Stück zahlreiche, sehr hübsche Ideen, so zum Beispiel das Tragen von Frauenkleidern aller handelnden Schauspieler im ersten Teil, der als eine Anspielung auf die größere Rücksichtnahme von weiblichen Darstellungswelten im Text ist. Auch die musikalische Untermalung eines kleinen Chores fand ich gelungen, wenngleich dadurch im 2.Rang (sie müssen es immer wieder bemerken, der Autor ist ein kunstbanausiger Sparfuchs!) der gesprochene Text nicht immer klar verstanden werden konnte. Die Idee Schultze eine Zeitlang nackt auftreten zu lassen, war nicht wirklich überzeugend, weil dies für mich entweder Verletzlichkeit symbolisieren soll (in diesem Fall in der Liebe von Schultze zu Lisa) oder die Authentizität und Reinheit der Aussage (von Schultze über die Dinge der Welt). Als Gelegenheitsbadender in freikörperkultureller Hinsicht, meine ich aber festgestellt zu haben, dass Nacktheit weder besonders verletzlich sein muss, noch das man dadurch authentischer wirkt.[3]
Noch ein abschließendes Wort zu den Schauspielern. Wie oben schon angedeutet, fand ich Moritz Kienemann ausgezeichnet, ebenso wie Torsten Ranft als Paulini oder Martin Blülle, der immer wieder seine laute Stimme unter Beweis stellen durfte. Auch Nadja Stübinger als Lisa bleibt in Erinnerung, während Christinne Hoppe als Lektorin (und Frau Kate) den recht undankbaren Part einer Erzählerin oder vielleicht besser noch Protokollantin hatte.
Neben diesem fantastischen Stück, das ein wirklich großartiges Erlebnis war, hat mich jedoch sehr bewegt, wie unglaublich leer das Theater war. Im gesamten 2. Rang saßen nur rund 10 Menschen. Das erfüllte mich einerseits mit einer großen Trauer, andererseits aber mit der Motivation keinesfalls so lange zu warten, bis ich wieder ins Theater gehe.
[1] Sie, geneigter Leser sollten allerdings überlegen, ob sie den hier vorliegenden Blog wirklich vertrauen sollten, immer wieder ertappt sich der Autor dabei falsch gelegen zu haben! Noch verwirrender ist es, dass der Autor darüber dann auch noch schreibt. Man könnte zum Schluss kommen, dass dieser Blog gar keine Leser hat und einfach nur zum Amüsement des Autors dient. Ich komme auf diese Gedanken irgendwann einmal zurück!
[2] Wenn ich, als nur sehr unregelmäßiger Theatergänger, mir dieses Urteil erlauben darf.
[3] Auch wenn natürlich ein Freibad ein anderer Ort als eine Theaterbühne ist, wobei man bei beiden Formen in Deutschland das Gefühl haben kann, dass Nacktheit sich irgendwie überlebt hat.