Sie haben mich ein Jahr begleitet, die „Sopranos“. Sechsundachtzig mal, drückte ich auf Play, drehte den Monitor Richtung Bett, stellte mein Bierchen neben jenes, legte mich hin und hörte dieses Intro:
Eine Serie zu sehen, ist ein bisschen wie gute Freunde zu gewinnen und sie dann gehen lassen zu müssen, wenn die Serie vorbei ist. Erst kennt man diese Personen ein wenig, man findet sie sympathisch, freut sich sie wieder zu sehen, doch irgendwann kennt man sie immer besser und man möchte sie nicht mehr gehen lassen und ist bekümmert wenn sie nicht mehr da sind. Und ich kann nicht umhin zu sagen, dass ich etwas traurig bin, denn ich habe nun alle sechs Staffeln gesehen, alle sechsundachtzig Folgen, jede der rund 4.750 Minuten und es gab seit den Tagen von „Six Feet Under“ nichts mehr, was mich als Serie so sehr berührte.
Doch da war ein großer Unterschied zu „Six Feet Under“ und ich rede hier nicht vom Inhalt, sondern von der Form der Perzeption der Serie. Die „Sopranos“ ist die erste Serie, die ich nicht eine Minute lang im Fernsehen geschaut habe, sondern ausschließlich auf DVD. Das hat Vor- und Nachteile.
Sie mögen mich für einen konservativen Stiesel halten, aber ich mochte die Begrenzung von Zeit und Raum im Fernsehen, das wöchentliche sehen, immer die gleiche Zeit, immer der gleiche Ort und damit verbunden eine gewisse kollektive Wahrnehmung. Ich erinnere mich, wie ich mit meinen Freunden über die letzte Folge „Six Feet Under“ sprach und was passierte und wie man das Gesehene jetzt einordnet und so weiter. Heute, wo Serien individuell auf DVD oder im Internet gesehen werden, fällt das leider weg, was ich sehr bedauere.
Was verbindet nun „Six Feet Under“ mit den „Sopranos“. Hier könnte man natürlich sagen, beide starteten um die Jahrtausendwende und beide auf HBO (interessanterweise war der Erfolg der „Sopranos“ im deutschen TV noch geringer als der eh schon mäßige Anklang von „Six Feet Under“) und man könnte erwähnen das beides Familienserien sind (wobei spezifiziert eingeworfen werden muss, dass sich diese Bezeichnung auf das Thema, nicht auf die Zielgruppe richtet) und natürlich könnte ich sagen, dass mir persönlich diese beiden Serien die liebsten sind. Aber weit wichtiger ist wohl ihr Einfluss in der Serienwelt selbst und dieser ist bei den „Sopranos“ wohl noch höher einzuschätzen als bei „Six Feet Under“. Beide Serien waren außergewöhnlich, vom script-writing angefangen (da könnte man auch auf das fantastische „Northern Exposure“ verweisen, dass schon in den 1990er Maßstäbe setzte) bis hin zur Optik (die dann später bei „Mad Man“ wieder in neue Dimensionen geführt wurden), doch gerade die „Sopranos“ führten ein neues Thema in die Serienwelt ein. Das Böse in seiner realistischen und wenn nicht sympathischen, so doch mindestens identifikatorischen Form. Ohne diesen thematischen Umschwung wären heutige Serien wie „Breaking Bad“ (das ja nun leider auch schon länger Geschichte ist und als nächstes auf meiner Serienliste steht) nicht denkbar.
Doch kommen wir zurück zum Inhalt der „Sopranos“ und lassen Sie uns mit einigen Fragen diesen näher ausleuchten:
Sind die „Sopranos“ eine Serie über die Mafia?
Natürlich sind sie das! Was für eine dämliche Frage! Sie sind sogar die Serie bzw. das Filmwerk über die Mafia überhaupt. Durch ihre Länge und die unterschiedlichen Erzählstränge können sie noch viel realistischer und glaubwürdiger erscheinen als beispielsweise „Der Pate“ und der war schon Klasse.
Sind die „Sopranos“ eine Familienserie?
Ja, denn das Thema Familie ist fast allumfassend. Das ist zuerst die Familie Soprano mit all ihren Problemen, der kriselnden Ehe, den Teenie-Kids die im Laufe der Jahre erwachsen werden und auf der Suche sind, nach der Person die sie sein und werden möchten und dem tagtäglichen Stress des Alltags, aber eben auch der Geborgenheit und dem Sinn und der moralisch und emotionalen Letztinstanz, die eine Familie gibt.
Nicht ganz unwichtig ist es, dass Mafiaeinheiten eben auch als Familien gegliedert sind. Damit ist nicht nur gesagt, das Leistung eben nicht unbedingt zählt um aufzusteigen, sondern insbesondere ist Familie eine Art Schutzreflex, Sicherheiten und ein soziales Band auszustrahlen, in einer Welt in der Gewalt und Tod nicht auszuschließende Elemente des Handelns sind.
Und so ist Hauptheld Tony Soprano (James Gandolfini) ein Mann zwischen den Familien, seiner beruflichen Mafiafamilie und seiner häuslichen Familie mit Ehefrau Carmela (Edie Falco) und den Kindern Meadow (Jamie-Lynn Sigler) und A.J. (Robert Iler), Familienvater und Familienoberhaupt in jeder Hinsicht.
Sie die „Sopranos“ auch eine Serie über den Tod?
Vielleicht könnte man sagen, die Sopranos sind vielmehr eine Serie über die Kürze und Vergänglichkeit des Lebens, in dem der Sensenmann in Form des nächsten Mafiosos ständig hinter der Theke auftauchen könnte. Sie sind eine Serie, die nicht nur der Frage nachgeht, wie kann man sein Leben verbringen, wenn der Moralbegriff etwas geweitet wird, sondern eben auch, wie lebt es sich die ganze Zeit, an der Grenze stehend und jeden Moment mit der Angst konfrontiert sein zu können abzustürzen.
Sind die „Sopranos“ eine Serie über das Böse?
Ja und Nein. Ja, denn wen, wenn nicht einen mordenden Mafiaboss wie Tony Soprano könnte man für Böse halten. Doch viel mehr zeigt uns die Serie, dass es Gut und Böse in einer simplen Einteilung nicht gibt. Was die Sopranos so unwiderstehlich macht ist, dass die Serie es schafft, dass der Zuschauer sich immer wieder mit Tony identifiziert und er gleichzeitig diese Identifikation in der Rolle der Psychologin Dr.Melfi (Lorraine Bracco) in Frage stellen kann. Die Sopranos sind eine Serie über den Reiz des Bösen, seiner Logik, über das Ausweiten der Gefahrenzone und das Eindringen des Bösen in das tägliche Leben und über die Konsequenzen, die das mit sich bringt. Aber es ist keine Serie die „das Böse“ als singuläre unhinterfragbare Einheit kennt (die Serie versucht zwar zweimal mit Richie April und Ralph Cifaretto Personen einzuführen, die das Böse in seiner reinen Form verkörpern könnten, doch sind sie eher als Spielfiguren für den Ablauf, als Gegenspieler geplant, und weniger als Gegenbild vom edlen zu unedlen Mafiamitglied), sondern immer wieder den Zuschauer und seine Sicht der Dinge hinterfragt.
Sie die „Sopranos“ eine Serie über Männer?
Zweifellos ist das Mafiagewerbe ein Männerbusiness. Hier jedoch wird das Männerbild stark konservativ geprägt. Männer stehen in den Sopranos auf Frauen (sehr gern auch auf Frauen mit denen man nicht verheiratet ist), halten eine robuste Umgangsform, in denen der Herrenwitz die mildeste Form der soziale Kommunikation mit anderen Männern ist, für Notwendigkeit und stehen für eine eigenartige Mischung aus Pflichtgefühl, Gewalt und Selbstmitleid, die sich wunderbar in der Figur von Tony Soprano wiederfindet. Gegenbeispiele, auch wenn sie nur minimale Unterschiede haben, man denke an Vito Spatafore (Joseph R. Gannascoli), , werden nicht nur nicht akzeptiert, sondern passen nicht ins Bild und verschwinden besser.
Trotzdem sind die Männer natürlich nicht alle gleich in den Sopranos und sie unterlaufen auch gewissen Veränderungen. Weniger in den Typen von Sil (Steven Van Zant), dem Consigliere der Mafiafamilie, dessen leicht gekrümmter Gang mich an den Schulmeister meiner Grundschule erinnert, den wir interessanterweise immer Mafiosi genannt haben oder an Paulie (Tony Sirico), dessen „hehe“ fast jeden zweiten Satz beendet, was ich ungemein sympathisch und nervtötend zugleich finde und deshalb mehr in meine Konversationen einbauen will.
Mehr zu sehen ist dieser Übergang im Aufstieg von Chris Moltisanti (Michael Imperioli), der sich immer wieder Probleme schafft in dem er Drogen nimmt oder in Bobby Bacala (Steve Schirripa) der sich vom Beauftragten des immer greiser werdenden Uncle Jun (Dominic Chianese) zur rechten Hand von Tony entwickelt und dabei aber immer noch der bodenständige Familienvater bleibt, obwohl er mit Tonys nicht immer reizenden Schwester Janice (Aida Turturro) zusammen kommt. Doch am meisten beobachten wir natürlich einen Wechsel in Tonys Verhalten, der sich gerade in der 6.Staffel äußerst dynamisch verhält.
Sind die „Sopranos“ eine Serie über die USA?
Wie (fast) jede amerikanische Serie sind die Sopranos natürlich eine Serie über die USA. Sie prägten sogar das Bild von New Jersey in den Staaten (nicht nur zu dessen Vorteil). Aber sie sind viel universeller auf Probleme des Lebens bezogen, die einen überall in der 1.Welt begegnen, als das es nur amerikanische Familien beträfe. Anders als „Boston Legal“ zum Beispiel sind die Sopranos kaum politisch. Geschäfte gehen vor Politik und das ist zwar sehr amerikanisch, aber doch in jeder marktwirtschaftlichen Gesellschaft so. Sie werfen auch einen Blick auf das Italo-Amerikanische, also auf den italienisch-stämmigen Amerikaner, nutzen es als Setting und spielen mit dem Klischee, was uns als Europäer nur wieder zeigt was für ein wunderbarer Schmelztiegel die USA doch sind, wo dann doch jeder gern seins macht.
Auch wenn noch so viele Fragen offen wären, so wahnsinnig viel noch über die Serie gesprochen werden könnte, komme ich nun zum Ende und damit auch zurück zum Vergleich mit „Six Feet Under“ zurück, denn wenn sie mal wissen wollen wie ein genau entgegengesetzter Schluss zu dem großen epischen Ausgang von „Six Feet Under“ gemacht wird, dann schauen Sie sich die letzte Staffel von den „Sopranos“ an, wo nach achtundsechzig zumeist großartigen Folgen die Musik verstummt und sie ein Finale vorfinden was sie so noch nicht gesehen haben (und was heftig diskutiert wird, wie zum Beispiel hier.
Ich werde Euch sehr vermissen Sopranos.