Don DeLillos Novelle „Die Stille“ erfreute sich kurz vor der Weihnachtszeit allgemein wohlwollender und vor allem reichhaltigen Besprechungen, wofür ich zwei Gründe als naheliegend sehe. Erstens, dass DeLillo zu einer der größten zeitgenössischen Autoren der USA gehört und als Leser freut man sich, wenn der Meister mittlerweile im höheren Alter, weiterhin veröffentlicht und zweitens, dass das Thema seiner neusten Novelle eine potentiell menschheitsgefährende Katastrophe ist. In Zeiten einer globalen Pandemie nimmt man solch ein Sujet natürlich begeistert auf.
Jim und Tessa sitzen im Flugzeug und kehren aus Paris nach New York zurück, wo sie am Abend bei Max und Diane eingeladen sind, um den Super Bowl zu schauen. Plötzlich verändert sich etwas, das Flugzeug gerät ins Taumeln und die Technik der Welt scheint nicht mehr zu funktionieren.
DeLillos Novelle beschreibt auf knapp 100 Seiten eine sich ausbreitende Katastrophe, wobei nicht wirklich klar ist, was gerade hier mit der Menschheit passiert, ob nur New York, die USA oder der gesamte Erdball betroffen sind. Das spielt für DeLillo aber auch keine Rolle, denn seine Figuren werden in diese Krise geworfen und antworten darauf mit existenzialistischen Gedanken, mit den Fragen nach Sinn und Bewegung des Lebens.
Deshalb ist dieses Buch nur bedingt etwas für Leser, die darin parallelen zu unserer gegenwärtigen Viruswelt suchen. Unsere derzeitige Krise zeichnet darin aus, das wir fast komplett von ihr informatorisch aufgefressen werden, in dem alles an und in ihr durchdiskutiert und in praktisch-konsumierbaren Schlagzeilen aufbereitet wird, von der Beschaffenheit eines Virus und seiner Mutationen, über sozial korrekte Distanzen bis hin zur Frage von Impfstoffen und deren Verteilung und sozialen Konsequenzen. Daran anschließend wird über Angst, Freiheit, Distanz und alle anderen Konsequenzen für unser praktisches Leben diskutiert.
DeLillos Buch hält bei einer namenlosen Katastrophe inne und fragt nach dem Tempo und dem Sinn des Lebens in unseren Tagen (genau das tun wir eigentlich nicht, sondern wollen nur schnell raus aus der empfundenen Katastrophe, ein Gefühl, das ich nur zu gern teile). Daher ist „Die Stille“ ein existenzialistisches Buch mit genau ebensolchen Sätzen, ein ruhiges, sinnierendes Buch über uns und unsere Welt und sicherlich ein Highlight im Spätwerk von DeLillo, aber es ist kein Buch über eine Katstrophe, sondern ein Buch über uns und was wir für unser Leben halten.