Das Thema Holocaust ist hierzulande – auf Grund historischer Schuldbelastung – ein in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommener Gegenstand. Es ist eine Basis des deutschen kulturellen Gedächtnisses für die größte anzunehmende Schuld und die Verpflichtung, daraus etwas für die Gegenwart und alle Zukunft zu lernen. Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen, trotzdem führt(e) es zu einigen gedanklichen Tabus, zum Beispiel der Frage ob man über Hitler lachen dürfe (man denke an Dani Levys Film „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ aus dem Jahr 2007 mit Helge Schneider und die Diskussion über Film und Gegenstand des Filmes). Etwas länger zurück liegt die Veröffentlichung von Edgar Hilsenraths Roman „Der Nazi & der Friseur“, den der Autor 1971 in den USA veröffentlichte. Obwohl der Text auf Deutsch geschrieben ist und schnell zu einem englischen Beststeller wurde, lehnten über 60 westdeutsche Verlage den Roman ab und er erschien erst 1977 in einem kleinen Verlagshaus in Köln. Grund dafür lag in der Darstellung des Buches über den Holocausts und noch viel entscheidender, der Zeit danach.
Im Mittelpunkt der Handlung steht Max Schulz, ein aus armseligen Haus (was Finanzen, Stimmung und Emotionen in der Familie betrifft) kommender Friseurgeselle, der 1907 am gleichen Tag geboren wurde wie der jüdische Nachbarsjunge Itzig Finkelstein, der später sein bester Freund werden sollte und bei dessen Vater, Chaim Finkelstein, Besitzer des Salons „Herr von Welt“, er sein Handwerk erwarb. Max lernt nicht nur wie man gekonnt Haare kürzt, sondern auch jüdische Bräuche und Kultur und trotzdem wird er später ein Nazi, scheinbar weil der Zeitgeist in dahin treibt und er sich dagegen nicht groß zur Wehr setzen kann und will. Viel schlimmer noch, Schulze wird zu einem gefühlskalten Massenmörder, der im Osten Europas Juden tötet, so viele Menschen, dass er sie nicht mehr zählen kann. Schulze überlebt den zweiten Weltkrieg, nimmt eine neue Identität an und zieht nach Israel, weil er sich der nun der Sache der Juden verbunden fühlt.
Was Hilsenraths Roman auch heute noch so brillant macht, ist die Kühle der Erzählung des Ich-Erzählers Max Schulze. Es ist die Zusammenlegung eines Lebens das sich in der SS und im neuen Staat Israel wiederfindet. Schulze lebt eine Selbstverleugnung die eine kaum mehr fassbare Radikalität angenommen hat und die Schuld auf eine neue Stufe hebt, nämlich auf die Frage, wie so eine Schwere der Schuld je gerecht gesühnt werden könnte. Damit kommen wir zurück zum Ausgangspunkt dieses kleinen Eintrags und der Feststellung warum im Nachkriegsdeutschland dieser Roman, gerade auf Seiten der Verleger, so große Probleme machte (nicht auf Seiten der Käufer, denn er wurde auch in der BRD zu einem Beststeller). Sie beruht zum einen auf der damals angenommenen Unglaublichkeit, die Shoa von einem der Täter darstellen zu lassen, noch dazu von einem Täter, der entkommen konnte und der sich nun als Guter oder zumindest mal als Erzähler präsentiert. Darf man das überhaupt oder verstößt das nicht gegen die Tradition der Darstellung des Holocausts? Sie berührt aber natürlich noch tiefer gehend auch die Frage wie Verbrechen und Schuld darstellbar sind und wie man nach solchen Ereignissen weiterleben kann. Ein wirklich großartiges Buch, das gerade von der Radikalität seiner Darstellung lebt.