Jahr: 2017 | Regie & Drehbuch: Manuel Martín Cuenca | Drama | 112min | Location: Sevilla
Ich wohne im 3.Stock und schau aus meinem Arbeitszimmerfenster auf die kleine Gasse, auf welcher gerade gebaut wird. Die Bauarbeiter, die einen Grund vorgegeben bekamen, die enge Straße aufzureißen, schreien rum und man kann vermuten, dass dies zu Ausübung von Bauarbeiten zwingend erforderlich ist, auch wenn Dezibel-intensive-Maschinen gar nicht eingeschaltet sind und nur darauf warten, die Häuserwände der angrenzenden Gebäude zu rütteln. Die Familie ist ausgeflogen, die Frau erarbeitet die notwenigen Mittel, um den Haushalt vor der Privatinsolvenz zu bewahren, während der Sohn seine Teenagervorstellungen von der Düsterkeit des Seins beim Schülerpraktikum der Friedhofsverwaltung reflektieren kann. Es ist ein kalter Wintertag, die Sonne scheint und die Wohnungen der Nachbarn sind verlassen, so man dies aus der Beobachtung meines Fensters heraus sagen kann. Sie bevölkern wohl gerade die Arbeitsplätze oder Einkaufsläden Dresdens und so sitze ich und träume einen meiner tiefen, stillen und unerfüllten Träume, einmal einen Roman zu schreiben (natürlich nicht irgendeinen Roman, es müsste schon besondere Literatur sein, Literatur, die amüsant zu lesen wäre, sie müsste fiktional, aber auch authentisch sein, verschachtelt sollte die Story sein, wo ein Gedanke in kleine Teile zerstäubt, die zu tiefer Beobachtung der Welt führen, bevor sie wieder zusammengesetzt, zurück auf das große Ganze kommen).
Álvaro (Javier Gutiérrez Álvarez) besucht nun schon seit drei Jahren die Schreibkurse des Literaturprofessors Juan (Antonio de la Torre), doch ein Buch hat er noch nicht veröffentlicht. Seine Frau hingegen schon. Amanda (Maria León) hat mir ihrem ersten Buch einen Bestseller verfasst. Das ist etwas ärgerlich für Álvaro, da er einerseits nichts hat, außer seinem Buchhalterjob, auf der anderen Seite aber gar nicht Literatur für die Masse – wie die seiner Frau – schreiben möchte, sondern große Literatur, etwas Bedeutendes. Betrüblich ist weiterhin das Sujet des Buches der Gattin, dass nicht gerade wohlwollend mit der gemeinsamen Ehe umgeht. Das er Amanda nun aber auch inflagranti mit einem anderen Mann erwischt, geht dann doch etwas zu weit. Álvaro zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus und wird von seinem Chef zu Erholungszwecken beurlaubt. In der neuen Wohnung will er endlich seinen Roman schreiben und da kommen ihn die neuen Nachbarn gerade recht. Da er selbst nicht gut darin ist, sich eine eigene Handlung auszudenken (was man für einen strukturellen Nachteil für Romanautoren halten könnte), schaut er einfach, was die Nachbarn tun. Doch dieses Beobachten wird schnell proaktiver als es vielleicht gut ist.
„El Autor“ ist ein spanischer Film, der die deutschen Kinos wohl durch die Hintertür verlassen hat, aber heute glücklicherweise auf Netflix zu sehen ist und dort unter dem Originaltitel „El autor“ zu finden ist. So recht sicher, ob der Film ein Drama, eine Komödie oder gar ein Thriller ist, bin ich gar nicht und eigentlich geht es darum nicht. Thema ist das Zustandekommen von guten Geschichten und die Frage, wie man Geschichten erfindet und welche Formen das Geschichten erzählen haben kann. Soll es unterhalten, soll es authentisch sein, soll es etwas über die Welt aussagen, soll es eine politische Bedeutung haben, soll es einfach nur Aufmerksamkeit kreieren? Bei diesen Fragen bleibt der Film aber nicht stehen, denn er reflektiert die Macht von Geschichten in der Welt, den Schnittpunkt wo Fiktion auf Realität trifft und sich beides verändert. Und besonders schön an „El Autor“ ist dessen Ende (ohne dies jetzt zu spoilern), dass von der Faszination der Geschichte schwärmt und nicht mehr von der Realität, welche das Geschichtenerzählen ausgelöst hat. Und damit ist Manuel Martín Cuenca Film ein schönes Beispiel um über Wirklichkeit, Realität und Erzählung in unseren Zeiten zu reflektieren.