Mein Interesse an Franz Kafka geht eigentlich zurück am Roman als Gattung insgesamt. Um die Jahrtausendwende herum kaufte ich mir das Buch: „Wie interpretiert man einen Roman?“ In diesem Buch werden neben vielen theoretischen Erklärungen auch einige wegweisende Romane vorgestellt. Und ein relativ leicht zu beeindruckender Mensch wie ich, der sich seine Leseliste gern aus einem angeblichen Kulturkanon zusammenstellt, konnte feststellen, dass Franz Kafkas „Das Schloss“ in jenem Romaninterpretationsbuch als Musterbeispiel für die Literatur als Überwindung der Realität genannt wurde.
Diese Geschichte liegt allerdings weit über 10 Jahre hinter mir, was weder meiner Leselust huldigt, noch meine Bestrebungen die Kunstwerke der literarischen Welt zu verschlingen, unterstreicht. Im Winter jedoch war ich auf der Suche nach einem Roman und begab mich recht offenen Geistes in eine große Dresdner Buchhandlung. Letztendlich entschied ich mich für ein Buch von Faulkner, hatte aber auch für einige Zeit Kafkas „Schloss“ in der Hand, nur um allerdings gesagt zu bekommen, dass dieses Buch eher zu Nervosität führe, da der Hauptdarsteller eben jenes Schloss nie erreichen würde. Ich hielt seinerzeit diese Information für zu inhaltsreich, was sie aber – jetzt nach Beendigung des Werkes, kann ich es sagen – definitiv nicht ist.
Da ich nun aber Faulkner erwarb, war ich mit Leseaufgaben gut eingedeckt. Eine Diskussion mit meinem Arbeitskollegen brachte mich jedoch auf die Idee auch einmal eine neue – von mir skeptisch beobachtete – Form des Romanlesens auszuprobieren, das Lesen am Handy. Da ich sonst auch jede freie Sekunde auf ihm rumspiele, wäre dies gegebenenfalls eine nützliche Erweiterung meines Spektrums. Siehe da, „das Schloss“ war schnell gefunden und das sogar kostenlos.
Ich empfehle das Lesen eines Romans am mobilen Endgerät jedoch nicht, zumindest nicht auf dem Handy. Mir fehlte während der Lektüre zu sehr eine Seite umzublättern, das Gefühl gebundenes Papier in den Händen zu haben oder eine Zeile unterstreichen zu können. Zusätzlich muss ich vermelden, dass die von mir benutzte App zahlreiche Programmprobleme hatte (Lesezeichen ließen sich nicht richtig setzen, der Text war schlecht formatiert, die Vorlesefunktion war ein Witz) so das viel Zeit ins Land ging, ehe ich ein relativ dünnes Buch wie „Das Schloss“ beendete. Allerdings lag dies tatsächlich nur an der Darreichungsform, nicht am Inhalt.
„Das Schloss“ beginnt mit der Ankunft des Landvermessers K. in einem Dorf, was verschneit unmittelbar unterhalb eines Schlosses liegt und von welchem er gerufen wurde. K. versucht seinen Dienst aufzunehmen, was ihm aber nicht so recht gelingen will. Aus einem ihm unerklärlichen Grund ist in diesem Dorf alles furchtbar kompliziert. Der Weg zum Schloss scheint irgendwie unerreichbar, das Wetter lässt K. dauernd müde sein und die Menschen ignorieren ihn entweder, oder sie kritisieren seine fehlende Unterwürfigkeit vor den Regeln der Schlossbeamten und seine Naivität.
Der Roman ist leider nur Fragment geblieben, deshalb sollte man nicht zu hohe Erwartungen an sein Ende stellen, aber das ist für den Inhalt zweitrangig. Im Mittelpunkt der Handlung steht das Schloss. Es ist der Antrieb und die Reglung der Handlungen der Romanfiguren, obwohl es eigentlich nichts macht. Es ist eher so etwas wie eine unhinterfragte Autorität, die alle dem Schloss und seinen Beamtenapparat erweisen. Das Schloss definiert das normative System der Menschen, es ist zwar scheinbar menschgemacht, jedoch auch für das einzelne Individuum nicht zu ändern. Es bindet die Menschen und beschneidet ihre Freiheit. Jedoch scheint diese Eingebundenheit immer mal wieder entrinnbar zu sein, so wie im hinteren Teil des Buches, als K. die Möglichkeit hat, dem Beamten Bürgel eine Bitte zu stellen, die dieser erfüllen muss, K. jedoch es nicht schafft, weil zu große Müdigkeit seinen Körper befällt. Kafka beschreibt nicht eine zeitliche Wirklichkeit, wie beispielsweise die Zustände in den 1920er Jahren in Prag. Er schreibt vielmehr über philosophische Grundvoraussetzungen der menschlichen Existenz, im „Schloss“ an die Frage gekoppelt, was macht ein Mensch wenn er gerufen wird, aber niemanden findet, der ihn gerufen hat. So liefert er dem Leser eine Beschreibung der menschlichen Zustände ganz allgemein, einem „Geworfensein“ in die Welt und seinen Konsequenzen. Wahrlich großartige Literatur.