Ich kann mich kaum daran erinnern, je aus einem Kino so verwirrt gekommen zu sein, wie bei „her“ von Spike Jonze. Meine Erwartungen waren eigentlich klar, Jonze, der bei den beiden wunderbaren Filmen „Being John Malkovich“ und „Adaptation“ Regie führte, brachte mit „her“ einen Science-Fiction Film heraus, bei dem sich sein Hauptdarsteller Theodore Twombly (Joaquín Phoenix) in ein Handy verliebt, wobei genauer gesagt in dessen Operating System (kurz: OS, auf Deutsch: Betriebssystem). Was hier fatal nach einer Studie für Objektliebe klingt (und bei der ich mich frage, wie stark meine Beziehung zu meinem Smartphone ist) ist aber eigentlich der Versuch, die etwas ältere Story Mensch versus Maschine neu zu definieren. Denn das Operating System (gesprochen von Scarlett Johansen, daher unbedingt im Original sehen!) ist nicht nur ein einfacher Dienstleister, sondern in der Zukunft von „her“ hat es ein eigenes Bewusstsein, getrieben von einer künstlichen Intelligenz.
Bekannt sind solche Erzählungen von Filmen wie Terminator, in welchen sich die Maschinen selbstständig machen bzw. dies schon lange gemacht haben und nun die Menschen unter ihre Kontrolle bringen wollen. In „her“ schauen wir auch in eine ähnliche Zukunft, nur dass sie viel realistischer aussieht, als bei Terminator und viel weniger aggressiv oder besser eher vom Gegenteil beseelt ist, statt Hass geht es um Liebe.
Im Los Angeles der Zukunft (meine Bewunderung für die Optik der Hochhausstadt, die bei genauem Hinsehen Anleihen aus New York, Chicago und insbesondere aus Shanghai nimmt) lebt Theodor und hat große Mühe, sich von der Trennung seiner Ex-Frau Catherine (Rooney Mara) zu erholen. Er arbeitet als Briefeschreiber, für Menschen die offensichtlich nicht in der Lage sind, eigene Zeilen an Freunde oder Verwandte zu verfassen. Eines Tages sieht er ein gerade neu beworbenes Operating System für seine technischen Geräte in den seltsam sterilen Läden der zukünftigen Welt. Wie schon erwähnt soll es sich dabei erstmals um eine Software mit eigenem Bewusstsein handeln. Theodore installiert es, beantwortet ein paar Fragen und wählt eine Frauenstimme, die sich als Samantha vorstellt, zur Befehlseingabe. Und vom reinen Dienstleistungsprodukt entwickelt sich Samantha zu einer Freundin und von dort zu einer Geliebten. Theodore ist es ein wenig peinlich sich in sein Betriebssystem verknallt zu haben, schließlich ist deren (bzw. dessen) Körperlichkeit nicht vorhanden, doch er bekommt neuen Mut, als er erfährt, dass seine gute Freundin Amy (Amy Adams) ebenfalls eine tiefere Beziehung zu ihrem OS unterhält.
„her“ ist ein faszinierender Film, der aber einen gewaltigen Haken hat, den ich ansprechen möchte (ich muss an dieser Stelle aber etwas ausholen und erwähne Teile des Endes des Films, daher empfehle ich nicht weiterzulesen, wenn man noch vor hat den Streifen zu sehen, was ich wiederum empfehle).
Obwohl die Handlung in der Zukunft spielt, ist mir ein selbst-bewusstes OS schlichtweg nicht vorstellbar. Das liegt in erster Linie in seiner Verankerung als Produkt, denn jedes Betriebssystem ist ein menschgemachtes Produkt, was in letzter Instanz anderen Menschen helfen soll. Im Regelfall wird für die Arbeit, die Menschen damit haben es zu erschaffen, ein finanzieller Beitrag vom Kunden entrichtet. Ich muss ihnen hier nicht weiter erzählen wie Kapitalismus funktioniert. Im „her“ wird dieses Verhältnis ausgeblendet. Geld und damit letztendlich die gesellschaftliche Matrix in der Theodore lebt, spielt nicht nur keine Rolle, sie wird bewusst im Dunkeln gelassen, denn sonst würde der Film nicht funktionieren. Denn wenn das OS ein Produkt wäre, dann könnte der Käufer des Produktes bei Nicht-Gefallen Änderungen einfordern oder es löschen. Hier scheint Spike Jonze einen anderen Weg zu gehen, denn das OS ist quasi wie ein eigenes Individuum, nur eben ohne Körper und dazu gehört auch, dass die Beziehung Kunde – Produkt aufgelöst erscheint, oder um dies auf den Film zu projizieren, das OS kann auch mit Theodore Schluss machen, wenn es vom ihm genug hat (es ist amüsant sich vorzustellen, wie mein Smartphone mir sagt, dass es zwischen uns aus ist und ob wir Freunde bleiben können und ich frage es, ob ich dann aber immer noch die Telefonfunktion benutzen darf). Dieser Aspekt des nicht vorhandenen Kunde-Produkt Verhältnisses scheint mir einfach nicht vorstellbar, in welcher Welt auch immer. Wenn man aber diesen Zweifel bei Seite lässt, so kommt man zu sehr weitschweifigen und hochspannenden Konsequenzen, die der Film anbietet.
Letztendlich kommen wir bei „her“ an einen Punkt, in welchen der Mensch etwas erschafft, dass so wie er, aber dann doch mehr als er, selbst ist. Das führt dazu, dass es sich von ihm abwendet und sein eigenes Ding macht, wenn man mal diese sehr menschlich-saloppe Ausdrucksvariante verwenden möchte. Wir sind hier beim selben Punkt, wie bei Terminator, nur das bei jenem Film die Maschinen gegen die Menschen Krieg spielen, während bei „her“ es den künstlichen Intelligenzen mit den Menschen irgendwann zu blöd wird und sie lieber unter sich sind (der Film lässt offen, ob sich die Operating Systems von sich aus vom Menschen abwenden, oder ob der Mensch in Form des Softwareherstellers eine große Rückrufaktion startet, was dann wieder ein Einbauen des kapitalistischen Gesellschaftssystems in den Film wäre. Ich bezweifle aber letztere Interpretation ein wenig), wohl gemerkt nachdem es kräftig funkte zwischen Mensch und künstlichen Bewusstsein.
So gesehen ist „her“ ein Film über Liebe, also besser über die Spielformen der Liebe und ein Bekenntnis das sich Liebe nicht an einen Körper haften muss, sondern lediglich Kommunikation mit einem anderen Bewusstsein, sei dies nun Mann, Frau oder allgemeiner: Mensch oder künstliche Intelligenz, benötigt. Hier schließt sich allerdings die Ungewissheit an, was an der zukünftigen Welt noch real oder natürlich ist. Bei „her“ scheinen wir in einer fast schon maximal entfremdeten Gesellschaft angekommen zu sein, wobei man sich Fragen kann, ob es eine Endlichkeit der Entfremdung überhaupt geben könnte, oder ob das Fortgehen des menschlichen Weges von der Natur nicht grenzenlos ist. Und dies lässt auch Fragen an uns zu, an unseren Status im Hier und Jetzt. Wie sehr leben wir schon in einer Welt, die von Algorithmen der Software bestimmt wird (siehe dazu beispielsweise Frank Schirrmachers Buch „Ego“)? Selbst unabhängig von den Datenskandalen der heutigen Zeiten sollten wir uns fragen: wie unnatürlich sind wir schon? Aber auch; ist das schlimm? Ist es problematisch sich in eine künstliche Intelligenz zu verlieben? Wäre diese Liebe gesellschaftlich (un-)akzeptabel? Aber was macht es aus uns, wenn wir in immer künstlichere, aber auch menschgemachtere Welten vorstoßen? Der Film entzieht sich hier einem Urteil, er ordnet sich weder als positive Utopie, noch als Dystopie ein und das macht ihn besonders, denn er möchte uns anregen darüber nachzudenken.
Wer daher einen Science-Fiction Liebesfilm sehen will, bei denen Menschen etwas schaffen mit dem sie bald schon nicht mehr umgehen können (was, wenn sie mich fragen ein anthropologisches Schicksal zu sein scheint) der ist bei „her“ richtig. Wer noch dazu einen (wie immer) sehr guten Joaquín Phoenix erleben, oder sich von der Stimme von Scarlett Johansen berauschen lassen möchte, der kommt ebenso wenig an „her“ vorbei, wie Freunde der Musik von Arcade Fire, die den Soundtrack zum Film liefern. Großes, und angenehm ungewöhnliches, Kino.