Schlafen Sie schon? Nein, denken sie mal darüber nach warum nicht? Sie sind zu abgelenkt von ihren Verpflichtungen? Dann sagt ihnen Jonathan Crary in: „24/7. Gesellschaft ohne Schlaf“, mal seine Meinung. Nach ihm leben wir in einer Epoche der zunehmenden Durchdringung unserer Zeit. Wir stellen unser Leben auf 24/7 um. Was bedeutet, dass alles„als Arbeits- Konsum- oder Vermarktungszeit ausgefüllt und vereinnahmt“ (S.19) wird. Das kann man sich in etwa so vorstellen; wenn wir nicht gerade unser Täglich-Brot im Büro verdienen, dann surfen wir an der Haltestelle – weil nur rumsitzen und warten ja nichts bringt – in unserem Smartphone und bestellen uns etwas Schönes im Internet. Für Crary ist die Natürlichkeit unseres Lebens in Zeiten des Neoliberalismus ein kostbares Gut, denn der Zeitgeist versucht uns aufzuzeigen, dass man immer etwas tun kann. Nur im Schlaf gibt es rein gar nichts zu tun gibt und was bitteschön, wollen Sie aus ihrem Leben machen, wenn sie nichts tun? (rhetorische Frage!) Immer dran denken, man lebt nur einmal.
Crary stellt in seinem rund 105 Seiten kurzen Essay eine Zeitdiagnose, die dem Leser aufrütteln (aufwecken wäre irgendwie das falsche Wort) möchte und deren Argumentation wir hier kurz zusammenfassen wollen. In einer Welt, die von der kapitalistischen Logik des 24/7 durchzogen ist, sollen alle stets dazu animiert sein, „sich endlos, stets unerfüllt, mit den vielfältigen Produkten zu beschäftigen“ (S.32) und nach dem eigenen individuellen Glück zu streben. „Der 24/7 Betrieb ist durch individuelle Ziele von Konkurrenz, Ehrgeiz, Besitzgier, persönlicher Sicherheit und Bequemlichkeit auf Kosten anderer geprägt.“ (S.40) Wir leben in einer „beständigen Simulation des Neuen, während in den bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnissen alles beim Alten bleibt.“ (S.39) Neue Technologien, wie das Internet sind nur dazu da, unseren Alltag zu durchleuchten und ihn zu entprivatisieren, wie in einer neoliberalen Matrix gefangen, denken wir in einer Welt der Aufmerksamkeitsökonomie nur an unser eigenes Wohl. Der Gedanken an den Anderen wird nach und nach aus unserem Handeln und Denken wegrationalisiert. Lediglich der „Schlaf ist die einzige verbliebene Grenze, die einzige dauerhafte Naturbedingung, die der Kapitalismus nicht besetzen kann“ (S.65)
Jonathan Crary legt ein zweifellos interessantes Buch vor, dass sich sehr kritisch mit dem von ihm so bezeichneten „Spätkapitalismus“ (siehe Titel des Buches im englischen Original) beschäftigt. Trotz zahlreicher sehr aufschlussreicher Gedanken und Interpretation, die man als eine existenzphilosophische Gesellschaftskritik deuten kann, ist das Buch für mich nur schwerlich überzeugend. Das liegt nicht nur in dem ärgerlich ideologischen Ton, der ständig beweisen möchte, wie falsch und verblendet gerade alles (außer für die wachen Augen des Autors) läuft, sondern vielmehr an zwei entscheidenden Mängeln.
Der Erste ist, dass Crary geradezu inflationär Behauptungen aufstellt, die er mit ebensolcher Regelmäßigkeit mit keinerlei Quelle oder Referenz näher belegt. Der Höhepunkt stellt eine Darstellung einer von ihm nicht geteilten Meinung eines Kollegen dar, der weder mit Namen genannt wird und erst recht nicht auf dessen Arbeit in einer Quelle verwiesen wird, so dass man als Leser überhaupt die Chance hätte, sich eine eigene Meinung zu bilden. Crary bringt es auf über 100 Seiten Text gerade mal auf 71 Quellenverweise. Man kann dies als Faulheit abtun, vielmehr ist es wohl die arrogante Liebe zur eigenen Argumentation, welche lieber vorangetrieben werden soll, als dass man sich die Zeit nehmen könnte, darüber wirklich zu reflektieren.
Der andere Einwand betrifft den vollkommen willkürlichen Umgang von Begriffen, die so verwendet werden, wie es Crary gerade einfällt. Das führt zu einer Überformung von Termini, die nie näher ausgeleuchtet werden. Da taucht der Neoliberalismus als Epoche auf, ohne dass dieser zeitlich genau verortet wird, oder Gründe für sein Auftauchen gegeben werden. So kann Grary eine böse Welt zeichnen, die uns von unserer Natürlichkeit wegführt, hin in einen künstlichen Zustand. Doch statt die Prozesse auseinanderzunehmen, sie zu zerlegen, um sie deutlich sichtbar zu machen, scheint die Welt wie ein böser Organismus, der irgendwie schon immer da war und der immer schlimmer wird. So ist „24/7“ am Ende doch nur eine leicht abgeänderte Version von Gesellschaftskritik, in der viel mehr Potential steckt, als abgerufen wird.