Einige Jahre sind nach der Lektüre von „Ein fliehendes Pferd“ von Martin Walser ins Land gegangen und seit diesem Zeitpunkt war meine Aufmerksamkeit auf seinen Roman „Brandung“ gelegt worden, denn die Geschichte der beiden Hauptcharaktere Helmuth und Sabine Halm wird darin wieder aufgenommen. Diesmal jedoch verbringen die Beiden keinen Urlaub am Bodensee, sondern gehen für mehrere Monate nach Kalifornien.
Helmuths alter Studienfreund Rainer Meersjohann bittet ihn kurzfristig für ein Semester einzuspringen, da die eigentlich vorgesehene Lehrkraft nach dem Besuch eines privaten Skatabends der anderen Lehrkräfte kurzfristig abgesprungen ist. Obwohl Sabines Mutter erst vor kurzen einem Krebsleiden erlag, gelingt es den Plan umzusetzen und an der Westküste der USA das Leben in Deutschland, wann auch nur für eine Zeit, hinter sich zu lassen, was insbesondere den mittlerweile 55-jährigen Helmuth entgegen kommt, denn seine Existenz als Lehrer an einem Stuttgarter Gymnasium ärgerlich anstrengend geworden ist, da ihm die Kollegenschaft, insbesondere Vizedirektor Kiderlen mit ihrer frischen Art nerven. Helmuth, Sabine und die jüngst von ihrem Lebenspartner verlassene und daher zu Antriebslosigkeit neigende Tochter Lena fliegen nach Oakland und können dort in einem etwas eigenwillig eingerichteten Professorenhaus wohnen. Der Neustart kann beginnen! Meersjohann jedoch, den Helmuth als strahlenden Lebemann in Erinnerung hatte, ist zu einem dicklichen Alkoholiker geworden, dessen Ehe gescheitert ist. Die zwei Kurse an der wundervoll gelegenen Universität, die Halm übernimmt, verlaufen nicht wirklich schlecht und schließlich ist da die 22-jährige Fran, deren Verhalten ihr Dozent als Avancen liest und sich dabei gleichzeitig Hals über Kopf in seine Studentin verliebt. Und so springt Helmuth beim ersten Familienausflug ans Meer in den Pazifik und die Brandung erwischt ihn voll, wirbelt ihn durchs Wasser und spült ich ihn wieder am Strand aus.
Ganz ähnlich wie „Ein fliehendes Pferd“ ist auch „Brandung“ wieder ein Roman der Lebensentwürfe auseinandernimmt, analysiert und tiefgreifend ergründet. Jedoch fehlt Brandung die Kürze und die Konzentration auf wesentliche Aussagen und scheint sich gerade in der Mitte in philosophisch-angehauchter Selbstschau zu gefallen, die der Erzählung nicht immer gut tun. Wir erleben einen Anti-Helden, der das eigene Älterwerden, vielleicht sogar das eigene Sein, stets reflektierend bedauert und die ganze Welt für stärker, besser und gerechter als sich hält und gar nicht merkt das diese Welt vor vielleicht viel größeren Herausforderungen und Problemen steht als er (die Anzahl der Todesfälle der Erzählung ist durchaus beachtlich). Der Blick richtet sich glücklicherweise auch auf den Universitätsalltag in Amerika (den Walser selbst als Gastdozent erlebt hat) und porträtiert ziemlich gelungen das Leben in der Traumwelt Kaliforniens der 1980er Jahre. Das alles macht dann „Brandung“ doch wieder zu einem starken Buch, dass aber einige Längen eben nicht überspielen kann.