Erschien 2019 im schwedischen Original als „Vem dödada Bambi?“ | in deutscher Übersetzung 2022 von Antje Rávik Strubel mit 256 Seiten
Es passiert mir in losen zeitlichen Abständen, dass mir ein Radiobericht oder ein Podcast ein Buch so schmackhaft machen, dass es viele andere Romane auf meiner Bücherliste überspringt und zeitnah gelesen werden muss. So rutschte Monika Fagerholms 2019 erschienenes Werk „Wer hat Bambi getötet“ auf den ersten Platz meiner Sommerleseliste, auch wenn mir heute nicht mehr klar ist, welche Sendung mich auf den Roman aufmerksam machte und welches Argument mich so besonders überzeugte (vielleicht ist dieses Vergessen von Gründen ein Zeichen der Zeit, oder aber eher ein persönliches Versagen).
Der Roman handelt von mehreren mittlerweile in der Mitte ihrer 20er Jahre alten Menschen in Helsinki. Ihre geografische Verbindung liegt in einem noblen Wohnviertel an einem See. Hier wohnte einst Gusten und dessen damaliger bester Freund Nathan. Beide haben sich entzweit, was an einer gemeinsam begangenen Straftat liegt, die hauptsächlich Nathan zu verantworten hat, die aber Gustens Leben immer noch prägt, auch wenn er davon niemanden etwas erzählen möchte. Emmy, Gustens Ex-Freundin und ihre beste Freundin Saga-Lill, beide aus der Provinz in die Stadt kommend, haben ein Interesse an Gusten und ihre Freundschaft leidet unter den unterschiedlichen Verhältnissen, die sie zu ihm aufbauen. Cosmo wiederum, der zu Jugendzeiten eher der Bully der Jugendgang von Nathan und Gusten war, heute aber ein hans Dampf in allen Gassen, möchte die alten kriminellen Geschehnisse künstlerisch verarbeiten und plant einen Film über die Geschichte der Straftat zu machen, mit dem Titel, „Wer hat Bambi getötet?“
Fagerholms Roman ist nicht wirklich eine reine Kriminalgeschichte, zum einen deshalb, weil hier gar kein Mord geschieht (wie der Titel suggeriert), zum anderen, weil die immer im Hintergrund, wie ein Schatten mitlaufende Straftat, erst am Ende aufgerollt wird, aber nicht ihr Tathergang im Vordergrund steht, sondern das Buch diese Tat als Ausgangspunkt für die Darstellung des weiteren Lebens der Menschen, insbesondere der Täter und deren Angehörigen nimmt. Das Opfer der Tat spielt dabei keine größere Rolle. Das ist ein sehr interessanter Perspektivpunkt des Buches, denn es verstößt hier schon fast gegen die zeitgenössische Etikette, besonders das Opfer einer Tat zu berücksichtigen. Das ist eine wirkliche Stärke der Perspektive (die aktuell fast kontraintuitiv wirkt, wo Opfer die eigentlichen Fokuspunkte von ganz vielen Erzählungen sind), dass die Betroffene einer Tat fast nur als Image verhandelt wird, ohne wirklich ausgeleuchtet zu werden. Fagerholm geht es nicht um das Opfer, sondern um die Tat und insbesondere um deren Nachwirkungen.
Der Roman identifiziert die kleinen und großen Lügen des Lebens, die uns Struktur geben, um mit dem, was war umzugehen, oder an ihm langsam zu zerbrechen. Fagerholms Erzählstil (die Kapitel sind wie Einstellungen eines Drehbuchs benamst) ist sehr zeitgenössisch, liest sich flott, begeistert sprachlich, aber nicht wirklich. Doch allein schon wegen der interessanten Perspektive dieses Buches über „Schuld und Sühne“, aber auch über Familie, Liebe und Beziehungen ist „Wer hat Bambi getötet?“ ein unterhaltendes, sehr aktuelles und hintergründiges Buch.