Idee: Gastón Duprat, Mariano Cohn | Dramedy – Miniserie | 5 Folgen | veröffentlicht 2023 auf Star + (in Europa auf Disney +)
Die Berufsbezeichnung Dandy finde ich ausgesprochen reizvoll. Das liegt vielleicht weniger am Wort „Dandy“, das wohl dem 18. Jahrhundert entsprang und in Kluges etymologischem Wörterbuch als „junge Leute, die in auffälliger Bekleidung Kirche oder Jahrmarkt besuchen“ bezeichnet wird. Im Begriff des Dandys steckt eine ästhetische Dimension, die sich recht grundlegend um die eigene Erscheinung dreht, die auffällig gezeigt werden muss (ähnlich dem Influencer, der das aber digitalisieren muss, weil Reichweite hier wichtiger wird als Erscheinung). Wenn man bei Wikipedia dann als Lebensbeschreibung Dandy liest, wie beispielsweise bei Jaques de Bascher, den wir vor kurzem in der Serie „Becoming Karl Lagerfeld“ kennengelernt haben, dann steckt für mich noch ein weiterer Aspekt dahinter, der sich vielleicht heutzutage zum Begriff beigemischt hat. Es geht um eine gewisse, wenngleich in ihrer Existenz unklare, finanzielle Sicherheit, die dem Dandy ein Leben ermöglicht, die volle Konzentration auf die eigene (ästhetische) Botschaft zu legen.
Im Sortiment des Anbieters Disney + befindet sich eine argentinische Serie über einen alternden Dandy, der eine große Leidenschaft für gutes Essen hat, quasi eine Verbindung meiner beiden letzten Serien „The Bear“ und „Becoming Karl Lagerfeld“. Die Serie wurde vom Duo Gastón Duprat und Mariano Cohn umgesetzt, die wir an dieser Stelle schon mit den beiden Filmen „Der Nobelpreisträger“ und „Der beste Film aller Zeiten“ würdigen konnten. Und Robert de Niro soll in dieser Mini-Serie auch mitspielen! Das sind sehr erwartungsvolle Voraussetzungen.
Manuel Tamayo Prats (Luis Brandoni) ist in einer nun schon 20-jährigen Schreibblockade gefangen, doch in Buenos Aires erinnert man sich immer noch an seinen guten Geschmack, insbesondere was kulinarische Fragen betrifft. Seine Haushälterin Celsa (Maria Rosa Fugazot) ist noch viel länger bei Manuel angestellt und leitet im Grunde sein Leben an, von der Zubereitung der Speisen bis zur Verwaltung der Gelder. Diese werden leider in letzter Zeit recht knapp, was Anlass zur Sorge bereitet. Doch der Kummer wird noch viel größer, als Celsa nicht mehr für Manuel da ist und er auf eine neue Haushälterin Antonia (Majo Carbrera) zurückgreifen muss, die allerdings Manuel zu begeistern weiß.
Der Plot der Mini-Serie „Nada“ ist überschaubar und lässt sich als eine Reminiszenz sehen, an den kultivierten Geschmack, der keine Umwege über moralische oder gesundheitliche Aspekte des Essens eingeht und der etwas quer zur Dynamik schneller und dynamischer Modewechsel geht (es sei ein kurzer Verweis auf die neuesten Moden gestattet, die kurze Phasen der Begeisterung und ebenso schnelle Wellen des Desinteresses hinterlassen, wie die Dubai Schokolade diesen Herbst oder die Zimtschnecke im letzten Jahr).
Äußerst sympathisch ist „Nada“ durch seine Charaktere, allen voran, der großartige Manuel Tamayo Prats, der jederzeit alles besser weiß, gerade wenn es ums Essen geht. Aber auch die liebenswerte Celsa ist fantastisch, ebenso wie die fleißige und ursprüngliche neue Haushälterin Antonia. Der Clou der Serie liegt aber in der Nebenrolle Roberto De Niros. Er spielt den weltweit bekannten Schriftsteller Vincent Parisi, der ein Freund von Prats ist, aber ihn in den letzten Jahren kaum gesehen hat. Parisi ist jedoch begeistert von der argentinischen Lebensart und noch mehr vom Essen. In „Nada“ fungiert er wie eine Art Erzähler der Serie, der aber nicht die Handlung erklärt, sondern verschiedene argentinische Gerichte, die er so leidenschaftlich beschreibt, dass man gleich den Herd anschmeißen möchte. Dies wird dann handlungsleitend für die jeweilige Episode. Da Parisi wie beim Setting einer Mockumentary bekannt, auf seinem heimischen New Yorker Sofa sitzt, gibt er der Serie eine Erzählperspektive von außen, die das Leben in Buenos Aires nochmal mit einer besonderen Prise Liebe darstellt und ein wunderbarer Kniff ist, die Begeisterung über etwas von jemanden erzählen zu lassen, der die Dinge als Gast kennenlernt. Dabei ist die Rolle De Niro wundervoll doppeldeutig, denn er spielt nicht sich selbst, den weltweit bekannten Filmstar, sondern einen weltweit bekannten Schriftsteller. Er spielt sich selbst, aber eben ohne sich selbst zu spielen. „Nada“ referenziert auf die weltweite Bekanntheit der Figur und der Bedeutung, die den Worten von Weltstars geschenkt werden (in diesem Fall über die vortrefflichen Eigenarten der argentinischen Küche und des Lebens in dessen Hauptstadt, gesprochen von der Autorität einer vertrauenswürdigen Prominenz), bleibt aber dem Gedanken treu, dass alles hier nur eine Geschichte ist, die erzählt wird (denn De Niro spielt eben nicht sein fiktives Selbst, sondern die Rolle von Parisi).
Gepaart wird diese Erzählperspektive der Hommage an Buenos Aires, den destingierten Geschmack, die Zurückweisung des Zeitgeistes und auch so etwas wie die fehlende Flexibilität und die Starrheit des Älterwerdens mit der dichtesten und sympathischsten Atmosphäre einer Serie des Jahres 2024. Ein Fest nicht nur für Menschen, die Argentinien mögen.