Jahr: 2019 | Regie & Drehbuch: Quentin Tarantino | Drama-Krimi | Länge: 161min | Location: Los Angeles
Starten wir den Filmsommer mit einem Film, der sich mit dem Thema „Film“ beschäftigt oder genauer geschrieben, mit allem was darum so passiert; Filmstars, Filmrollen, Filmproduktion, Träume, Gut und Böse. In Quentin Tarantinos 2019 veröffentlichten Streifen „Once Upon a Time in Hollywood” führt uns der Großmeister des „Rachefilm“ Genres ein wenig von seinem Lieblingsmotiv weg und begibt sich in die Welt der Filmstars, ins Hollywood des Jahres 1969.
Rick Dalton (Leonardo diCaprio) ist ein Star, aber seine größten Erfolge liegen schon über 10 Jahre zurück. Dabei verdiente er sein Geld zumeist in gewaltbeladenen Actionfilmen, in welchen er das Publikum mit kuriosen Tötungspraktiken seiner Feinde begeisterte. Heute wird er für einige Serien als Gaststar engagiert und darf sich dort als Bösewicht austoben, um den guten Hauptdarsteller letztendlich gewinnen zu lassen. Das beunruhigt Dalton, der noch dazu eine Tendenz hat, etwas mehr Alkohol zu trinken, als dies notwendig wäre. Zum Glück hat er einen besten Freund, sein Stuntdouble Cliff Booth (Brad Pitt), der gleichfalls als persönlicher Chauffeur und Mädchen für alles dienlich ist. Da kommt ein Angebot von Filmproduzent Marvin Schwarz (Al Pacino) herein, der Dalton für mehrere Spaghetti-Western engagieren möchte. Dalton ist sich nicht recht sicher, ob ein Engagement und die damit verbundene halbjährige Arbeit in Rom eine Chance für ihn ist, oder eher ein weiterer Abstieg in seiner Karriere. Neidvoll blickt er dabei auf seine neuen Nachbarn, den Star-Regisseur Roman Polanski (Rafał Zawierucha) und seine Frau, die Schauspielerin Sharon Tate (Margot Robbie).
„Once Upon a Time in Hollywood” ist ganz offensichtlich ein Film über Hollywood, ein Thema das bereits in vielen Variationen abgefilmt wurde (es liegt der Gedanke nahe, das Menschen gern darüber etwas erarbeiten, über das sie genau Bescheid wissen und Hollywood Filmschaffende wissen halt sehr genau über Hollywood Bescheid, weshalb Filme über Filme meist auch besser und genauer sind, als Filme über Ärzte oder Katastrophen beispielswiese). Was Tarantino aus diesem Thema macht, ist es eine neue und durchaus überraschende und vielschichtige Perspektive zu geben. Er beleuchtet die Rollen von Gut und Böse im Film und irgendwie auch in der Welt Hollywoods und das macht er ebenso so subtil, wie teilweise höchst offensichtlich. Für einen schärferen Blick darauf müssen wir argumentativ allerdings ein bisschen ausholen und auch etwas mehr über den Film erzählen, was automatisch eine Spoiler-Warnung ergibt (daher, wenn sie diesen sehr sehenswerten Tarantino noch nicht gesehen haben, dann lesen sie vielleicht diesen Text nachdem Genuss des Streifens weiter).
Ganz dem Postmodernismus verpflichtet changiert „Once Upon a Time in Hollywood“ zwischen realen geschichtlichen Ereignissen und Fiktion (so wie dies auch schon bei „Inglorius Bastards“ der Fall war). Für Rick Dalton wird ein Kosmos an Filmen ausgedacht, wie beispielsweise die Western-Serie „Bounty Law“, dessen Star er für Jahre war. Die Serie liegt in der ruhmreichen Vergangenheit des Schauspielers. In neueren Serien, die es ganz real gab, allerdings ohne einen Rick Dalton darin, wird er immer mehr zum Bösewicht und obwohl er im realen Leben kein wirklich guter Mensch ist, ist er – anders als seine Charaktere – auch kein wirklich böser Mensch (wobei ich mir bewusst bin, dass die Einordnung von bösen Menschen nicht wirklich einfach von der Hand geht). Das gilt in Abstrichen auch für seinen Freund Cliff Booth (oder vielleicht auch eben gerade nicht und hier erreichen wir die Grenze zwischen Gut und Böse), der stets aufs äußerste loyal zu Rick ist. Doch so sehr er Rick gegenüber gutmütig und hilfsbereit ist, so sehr blitz bei Cliff immer wieder das ganz reale Böse durch. Er ist zwar ein Kriegsheld, aber wie er dazu geworden ist, ist ebenso unklar, wie der unbestätigte Verdacht, dass er seine Frau ermordet haben soll (von Cliffs Unschuld ist man immer weniger überzeugt, je länger der Film geht, allerdings – und das ist wiederum ziemlich großartig bei Tarantino gemacht – ohne das je etwas zu diesem Fall gesagt wird). Und so wie er seinem Freund und Arbeitgeber (auch dies ist eine weitere Stärke des Films, die Beziehung zwischen Rick und Cliff pendelt dauernd zwischen den beiden Polen Freundschaft und Arbeitsverhältnis und wird nie wirklich aufgelöst) Rick gegenüber Loyal ist, so erzieht er auch seinen Kampfhund den Pitbull Brandy, diszipliniert auf jedes Kommando seines Herrschen gegenüber hörend. Hinter dieser Disziplin lässt Rick aber sehr wohl die „Natur“ des Hundes als tödliche Waffe zu.
Dieser Konstellation von Gut und Böse gegenüber steht das Nachbarpärchen Polanski und Tate. Insbesondere Sharon Tate scheint ein lebensfroher Sonnenschein zu sein, wenn man so will die Inkarnation des Guten und Schönen. Nun ist dem mit halbwegs ausgestatteter Hollywood Grundbildung vertrautem Zuschauer auch das tragische Ende von Sharon Tate bewusst, denn diese (und ich bin mir sicher, das für sie geneigter Leser, die folgende Bemerkung schon bekannt sein dürfte) wurde von der „Manson Family“, unter Führung des Massenmörders Charles Manson im Sommer 1969 umgebracht. Es gibt in der amerikanischen Geschichte der Popkultur nur wenige Menschen, die so sehr das Böse verkörpern, wie Charles Manson (auch das ist großartig im Film gelöst, Manson kommt als Charakter nicht vor, erwähnt wird er aber trotzdem als Mastermind im Hintergrund). Vor dem real-geschichtlichen Hintergrund dieser Mordtat an Sharon Tate entwickelt Tarantino seinen Film als Krimi an dessen Ende der Mord steht. Doch Tarantino wäre nicht Tarantino, wenn es tatsächlich zum Mord an Sharon Tate kommen würde. Stattdessen versuchen drei Mitglieder der Manson-Familie; Tex (Austin Butler), Sadie (Mikey Madison) und Katie (Madison Beaty), spontan Rick Dalton umzubringen, aus einer LSD geschwängerten Idee heraus, dass man dem Bösen (also Rick Daltons Rollen, die sich für die drei potentiellen Mörder gerade mit dem realen Rick Dalton vereinigten, weil dieser sturzbetrunken die Gruppe bösartig anmachte, da ihm die Motorengeräusche des veralteten Automobils störten) nur mit dem Bösem (ihn abzumurksen) begegnen könne. Und so bleibt dem Zuschauer ein vom Regisseur zu erwartendes Battle Royal, ganz am Ende der 2,5 Stunden Filmlänge in welchem das fiktive (böse) Hollywood, den realen (und tatsächlich noch lebenden) Hippies / und potentiellen Mördern den Garaus macht.
Und mit dieser Auflösung und der Frage, wo das Böse entsteht und wo es sich manifestiert, in der Fiktion oder / und in der Realität, entlässt uns Tarantino, in einem, vielleicht sogar, seinem besten Film.