Aus der Reihe: aus fremden Regalen
Erschien 2023 im englischen Original gleichen Titels | in deutscher Übersetzung von Werner Schmitz 2023 bei Rowohlt erschienen mit 204 Seiten
Es gehört mit einer gewissen Ritualisierung dazu am Ende eines Jahres auf die Menschen zu schauen, die von uns gegangen sind. Dazu gehört 2024 auch Paul Auster, einer der vielleicht größten amerikanischen Romanciers, der letzten 30 Jahre. Ich bin sehr froh mir seinen letzten Roman „Baumgartner“ ausgeliehen zu haben, denn tatsächlich habe ich seine drei vorhergehenden Romane (4321, Sunset Park, Unsichtbar) in den letzten Jahren sehr gern gelesen, wenngleich ich sie unterschiedlich bewerten würde und irgendwie wollte ich mit „Baumgartner“ auch so etwas wie Abschied von ihm nehmen.
Seymour T. Baumgartner ist ein emeritierter Professor der ruhmreichen Princeton University. Seit seine Frau vor rund 10 Jahren bei einem Schwimmunfall ums Leben gekommen ist, lebt er allein, schreibt an Büchern und bewahrt das Erbe seiner Frau. An einem eher hektischen, Missgeschick reichen Tag wird ihm bewusst, dass er nun, mit 70 Jahren nochmal etwas ändern muss in seinem Leben.
Baumgartner erhielt, von mir als seriös einzuschätzenden Quellen, keine durchweg fantastischen Kritiken. Ich halte es dennoch für ein kleines, aber sehr lesenswertes Werk, weil es im Oeuvre von Auster einen besonderen Stellenwert hat. Es ist Austers letzter Roman und man darf vermuten, dass sich Auster darüber bewusst war. Das Buch kann man daher wie eine Lebensrückschau lesen, dass sich mit verschiedenen Themen der Autorenschaft auseinandersetzt, die insbesondere im Leben eines kreativ schaffenden Menschen sehr wichtig sind. Da ist insbesondere die Frage nach dem Schreiben von Texten. Bei Baumgartner erfährt man nicht nur, wie man diese Texte finalisiert, sondern noch viel mehr, was sie über uns ausdrücken. Hier kommt das von Auster gern benutzte Thema der Identität ins Spiel. Wie bei so vielen Romanen von ihm, erleben wir auch in „Baumgartner“ eine starke Vermischung von Austers persönlich biographischen Details mit der Hauptfigur (Baumgartners Familie mütterlicherserseits stammt aus Iwano-Frankiwsk, wie auch Austers Vorfahren, die im Roman ebenfalls Auster heißen). Ein weiteres Thema dieses eher kurzen Romans ist die Frage des Vermächtnisses kreativer Arbeit, die im Text in Baumgartners Bemühen beschrieben werden, die Gedichte seiner Frau zu veröffentlichen. Dieser Aspekt führt uns zu Fragen von kreativem Vermächtnis und der Wertschätzung der Kreativität anderen Menschen und damit gelangen wir auch an das Ende des Romans, der mir ein bisschen, wie der Versuch wirkt, Freddy Mercurys Song „Show Must Go On“ in Romanform zu übersetzen und der leider umso überzeugender wirkt, wenn man sich klar macht, dass dies Austers letzter Text war. Gerade wegen dieses Endes ist „Baumgarten“ ein kurzweiliger Text über Leben, Liebe und Schaffen und alles was darüber hinausgeht.