Dresden im Jahr 2016. Deutschlandweit bekannt für seinen schlechten Ruf. Der gebürtige Dresdner Peter Richter wird zu den Dresdener Reden eingeladen und hält einen Vortrag, wie er die Stadt von seiner neuen Wahlheimat New York aus sieht.
Schon mit 19 verließ Richter die Stadt um Kunstgeschichte zu studieren, jedoch kehr er regelmäßig zurück nach heeme. Die Einladung zu den renommierten Dresdner Reden lässt ihn nun über die Heimatstadt nachdenken, die seit jüngster Zeit mit Bewegungen wie Pegida zu den Hochburgen des rechtskonservativen Anti-Establishments gehört. Dabei spricht er als Dresdner, der Dresden für die weite Welt verlassen hat und eben von dieser Welt viel gesehen hat, was man nicht zu Unrecht den „protestierenden Dresdnern“ vorhält nicht getan zu haben. In den 30, recht kleinen, Abschnitten sind es zwei Themenbereiche die Richter umtreiben.
Der erste betrifft eine Einordnung, was Dresden, das Leben in Dresden oder vielleicht nur das Aufwachsen in Dresden in den 1980ern ausmacht oder ausgemacht hat. Dieser Teil spricht mir fast aus der Seele (Richter ist nur vier Jahre älter als ich) und es gibt so viel an seiner Charakterisierung meiner (unserer) Heimatstadt was ich mit großen Interesse und Amüsement sofort ebenso bestätigen würde. Dabei ist Richter keinesfalls negativ, sondern beschreibt Dresden liebevoll, aber nicht ohne auch kritisch zu sein. Wer etwas mehr Interesse an der Stadt hat, dem sind diese ersten Seiten des Buches absolut empfohlen.
In einem nicht abgetrennten – sondern ineinanderfließenden – zweiten Teil, versucht dann Richter die momentane Situation der Stadt, im Lichte der Schwerpunkte; Einwanderung, das Fremde, die Bewahrung des Eigenen und der dazu gehörenden politischen Bewegungen zu beleuchten. Leider verliert hier das Buch von Seite zu Seite an Stringenz und Aussagekraft und versucht mit einem eher gekünstelt wirkenden Dresden-New York Vergleich, die momentanen Vorgänge in der Stadt und ihre überregionale Einordnung zu analysieren. Dabei betont Richter zwar das Dresden nicht Pegida ist, was vollkommen richtig ist, schafft es aber weder das Eine (das Dresden 2016, dass von den wenigen Teilnehmern einer ritualisierten Montagsveranstaltung scheinbar definiert wird) noch das andere (Pegida, als Organisation und Ausdruck einer Weltansicht) treffend zu beschreiben, denn – und als Nichtwohnhafter-Dresdner kann man ihm das nur wenig vorwerfen – es fehlen ihm einige Phänomene dieser Tage in der Stadt. So beispielsweise die Frage, wie sich Dresden und das Leben in Dresden in den letzten Jahren verändert haben. Dazu gehört leider mehr als nur die Einsicht, montags lieber nicht durch die Innenstadt zu fahren und zu Hause zu bleiben, sondern dazu gehört vielmehr, dass Menschen die anders aussehen, oder anders sprechen auf weniger Toleranz in Dresden treffen (ob das ein gesamtdeutscher Trend ist, wage ich nicht zu beurteilen) als dies noch vor fünf oder zehn Jahren der Fall war. Dieses Auslassen oder eine eher oberflächige Beobachtung der Situation wären noch hinnehmbar, wenn Richter in seinem Tonfall nicht so häufig relativistisch wäre, was ein wenig wirkt, als wöllte er sein Publikum (zur Erinnerung, der Text ist als Rede vor Dresdner Publikum konzipiert) beschwichtigen und ihnen zurufen, irgendwie verstehe ich Euch (bin ja einer von Euch), aber irgendwie habt ihr doch nicht recht.
Wie Dresden wirklich ist, ist ein Schätzvorgang, der je nach Betrachter jener Schätzung mehr oder weniger richtig ist. Niemand kann eine Stadt vollends und exakt beschreiben und ihre Widersprüche liegen selten sehr verborgen. Die sächsische Landeshauptstadt beispielsweise ist zwar ein politisch recht konservativer Wählerpool (alle Direktkandidaten von Landtag oder Bundestag kamen seit der Wende immer von der CDU), aber er entscheidet sich eben auch mal gegen das Vorurteil, denn der Dresdner Stadtrat beispielsweise wird von den linken Parteien regiert. Dieses Detail wird dann schnell vergessen, denn es passt eben nicht in ein zeitgenössisches Dresden-Bild des rechten – sich selbst gern so feierenden Packs (tatsächlich habe ich nur wenige Wochen nach Sigmar Gabriels Aussagen, die Störenfriede, welche das neue Flüchtlingsheim und deren Bewohner in Heidenau 2015 attackierten, als Pack zu bezeichnen, schon einen Mann im gesetzten Alter gesehen, welcher Montagnachmittag über den Altmarkt eilte und der ein T-Shirt mit Deutschlandfahne und der stolzen Aufschrift „Pack“ trug. Seit diesem Moment kann ich übrigens nicht mehr dem Gedanken entrinnen, dass die Macher dieser Montagsrituale vielleicht doch nur clevere Geschäftsleute sind, die im Merchandising-Bereich eine akzeptable Einnahmequelle gefunden zu haben scheinen.
Tatsächlich aber – und das ist unstrittig – treffen die bizarren, plumpen und bestenfalls halbgaren Ideen und Forderungen dieser Versammlungen in Dresden aber auf einen konservativen Geist, der zwar die Stadt und ihre Bewohner nicht ausmacht, der aber immer mal wieder um die Häuser weht. Es ist der Geist, der die Heimatliebe eigenwillig übersteigert in eine Harmonie, die ständig in Gefahr zu geraten scheint, von einem diffusen Außen und einer Selbstwahrnehmung eines quasi paradiesischen Eilands, dessen wahren Wert die Welt aus Dresdner Sicht, unerklärlicherweise, nicht zu schätzen weiß.
So bin ich bei der Einschätzung dieses Buches zutiefst geteilt. Denn Einschätzungen wie diese: „…, dass gar nicht alle Menschen Dresden für den Nabel der Welt halten oder wenigstens für die schönste aller Städte: Die muss man erst einmal verdaut bekommen, wenn man von hier in die Fremde tritt, also das Elbtal verlässt.“ (S.35) habe ich selbst so erlebt und hier liegt die Stärke von „Dresden revisited“, in der Rückschau und Ansicht der Stadt. Ein Buch was als Einführung in die Besonderheiten Dresdens wundervoll zu lesen ist, dass aber ziemlich versagt bei der Aufarbeitung neuer konservativ-nationalistischer Bewegungen, wie sie in Dresden geprägt wurden.