Erschien 2009 im amerikanischen Original als „The Women“ | in deutscher Übersetzung von Dirk von Gunsteren und Kathrin Razum | hier vorliegend als dtv Taschenbuch mit 560 Seiten
Es gibt Buchtitel, die nach einem kurzen Blick für schnelle Aufmerksamkeit sorgen, weniger vielleicht bei mir, mehr bei Menschen, die nur mal geschwind wissen wollen, was der Gegenüber liest (ich kenne das Bedürfnis, ich schaue auch gern – beispielsweise im Freibad oder in der Bahn – darauf, was andere Menschen so lesen, wobei mich weniger der Titel interessiert, sondern mehr die Autorenschaft). So geschah es, bei meiner Sommerlektüre von T.C. Boyles 12.Roman aus dem Jahr 2009, mit dem griffigen Titel: „Die Frauen“, dass insbesondere gerade genanntes Geschlecht mir verwunderte Blick und eine gewissen Ablehnung kenntlich machte, wegen meines Buches und ich fühlte mich ein wenig, als wenn die fragenden Blicke mir vorwerfen würden, ich würde ein Machwerk über das „andere Geschlecht“ studieren (was auch immer dann der Inhalt dieses Werkes wäre).
Doch in Boyles Roman geht es nicht um eine Betrachtung der Weiblichkeit aus männlicher Perspektive zum Zwecke des Ratgebens oder vermeintlicher Kommunikationshinweise, sondern es geht um einen Mann; Frank Lloyd Wright, einen der einflussreichsten Architekten des 20.Jahrhunderts. Boyle nimmt sich Wrights Biografie vor, welche wir anhand des Portraits aufgezeichnet bekommen, wie er mit drei Frauen zusammenlebte (in fast allen Beschreibungen zum Buch und auch in Boyles Einleitung lese ich von vier Frauen, aber tatsächlich spielt Kitty (bzw. Catherine), seine erste Frau und Mutter seiner Kinder, fast keine bzw. nur eine sehr kleine Rolle im Roman).
Sprachlich ist dieser Roman teilweise wunderbar humorvoll, was an der Aufspaltung der Erzählperspektive liegt. Diese nimmt der japanische Schüler von Wright, Tadashi Sato ein, der neben einem Portrait des Architekten mit dem Text eine kleine Biografie seines Lebens mit Wright entwirft. Er tut dies in 3 Teilen, wobei jeder Teil einer anderen Frau gewidmet ist. Allerdings werden die Teile immer nur von Sato eingeleitet, der Inhalt der Erzählung stammt dann von Satos Ghostwriter O’Flaherty, der quasi Satos Geschichte in Textform bringt. Diese Konstruktion des Textes erlaubt Boyle nicht nur die Geschichte spannend zu erzählen, sondern durch die Einwürfe Satos (als Fußnoten) auch immer wieder ironisch und durch die Perspektive eines Japaners von „außen“ reflektieren zu können. Das gelingt großartig und „die Frauen“ gehört zu Boyles amüsantesten Romanen.
Inhaltlich wiederum ist der Roman eine Bestandsaufnahme menschlicher Zweierbeziehungen und deren gesellschaftlicher Moralvorstellungen. Interessanterweise wird dies aber chronologisch rückwärts erzählt und beginnt mit Wrights letzter Frau, Olgivanna. Obwohl ineinander verliebt, können Frank und Olgivanna aber nicht heiraten, ja nicht mal offen miteinander zusammenleben, weil Frank immer noch mit Miriam verheiratet ist, die wiederum ihn zwar verlassen hat, aber keinesfalls die Ehe scheiden möchte. Miriam wiederum lernte Frank kennen, als seine große Liebe starb, Mamah. Leistete die gutaussehende Miriam ihm erst Trost, so wurden ihre emotionalen Ausbrüche für die Beziehung der beiden schnell zu einer fast schon gewalttätigen Farce. Mamah wiederum, die Frau mit dem der Roman endet, war Franks vermeintliche Lebensliebe, die tragisch aus seinem Leben schied.
Boyle schildert nicht nur die Unterschiedlichkeit von Zweierbeziehungen, die aus ganz verschiedenen Menschentypen bestehen können, welche trotzdem ihr Leben miteinander verbringen, sondern er umreißt gleichzeitig ein Panorama der Moral der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts in den USA und zeigt das Liebe und gesellschaftliche Ordnungsfantasien im Regelfall nicht zusammengehören. Durch Satos Einwürfe kommt dazu noch das Thema Rassismus dazu und die große Kraft gesellschaftlicher Regeln, die moralisch durchaus fragwürdig erscheinen, aber trotzdem nicht weniger handlungsleitend sind.
Fast schon nebenher ist „Die Frauen“ aber auch ein Buch über Architektur und einen eigenwilligen Architekten, der zahlreiche Meisterwerke erschuf und dabei sowohl eine beeindruckende persönliche Ausstrahlung wie auch eine legendäre Knausrigkeit aufzeigte. Ob diese Bild von Frank Lloyd Wright wirklich passt, muss ich mir in anderer Lektüre anlesen, motiviert dazu hat mich der große Lesegenuss von T.C. Boyle allemal.