The Bear – Staffel 2

Idee: Christopher Storer | Dramedy-Serie | Staffel 2 mit 10 Folgen (bisher 3 Staffeln) | veröffentlicht 2023 auf Hulu, in Deutschland auf Disney+

Noch vor gar nicht langer Zeit dachte ich, die große Zeit der Serien geht einem Ende entgegen. Aus den immer größer werdenden Fundus, sich ausbreitender Serienanbieter käme nichts Innovatives mehr, nichts, was begeistern, was neue Maßstäbe setzen könnte. Mir schien, dass die von mir geliebten Produktionen der 2000er und 2010er Jahre in Fragen der Qualität nicht mehr einzuholen seien. Doch immer mehr Ausnahmen zeigen deutlich, das Zeitalter der guten Serien weiter existiert.
Schon im Sommer dieses Jahres dachte ich, die wunderbare Serie „Irma Vep“ kann man als Highlight des Jahres eigentlich kaum mehr toppen. Staffel eins von „The Bear“ sollte mich zum Nachdenken darüber bringen, ob 2024 nicht doch noch besser werden könnte. Staffel 2 bestätigt meine Einschätzung. Die Serie ist nicht nur dieses Jahr ein leuchtendes Glanzstück der Serienunterhaltung, sondern sogar ein Höhepunkt der ganzen filmischen Gattung. Die nächsten Zeilen sollen erzählen warum.

Inhaltlich dreht sich Staffel 2 nicht um den laufenden Betrieb eines Restaurants, sondern geht einen Schritt zurück und stellt dar, wie man ein Restaurant aufbaut und eröffnet, wie man ein Koch oder ein Kellner wird und was Restaurant- oder gar Essenskultur bedeuten kann.
„The Bear“ liebt seine Figuren, sie lässt sie nicht nur in den sehr realistischen Dialogen gegeneinander wüten, sich vertragen, sich hassen oder Zuneigung zeigen. Zehn Folgen lang gelingt es der Serie, immer wieder höchst anspruchsvolle ästhetische Porträts in Großaufnahmen zu liefern, um Stimmungen und Atmosphären aufzuzeichnen. Hier greifen Kamera, Buch und Soundtrack fehlerfrei ineinander.  Selbst für einzelne Aufnahmen, wie einem Bild von der zunehmend mit der Gestaltung des Speiseplans alleingelassenen Sydney (Ayo Edebiri) inszeniert man sie in der Metro Chicagos auf ihrer Fahrt zur Arbeit; allein, mit Kopfhörern ausgestattet, um sich von der Umwelt zu lösen, irgendetwas hören, um die Fahrtzeit zu überbrücken, aber in Gedanken wohl dabei über ihre Aufgabe zu sinnieren, kreative Gerichte zu erschaffen. Es ist diese Liebe zu detaillierten und ruhigen Aufnahmen, die wir schon aus der ersten Staffel kennen (und die bewusst die lauten Streitereien der Serie kontrastieren), welche die Figuren von „The Bear“ so tief und leuchtend wirken lassen. Unterlegt wird die Beschreibung mit einem sehr eingängigen Soundtrack, welche die atmosphärische Dimension der Serie noch verstärkt. Immer wieder rauschen wir als Zuschauer durch Chicago und man fühlt sich sogar geneigt manchmal auf Pause zu drücken, um die Bilder zu genießen, was jedoch leider auch den Ton zum Stillstand bringen würde (vielleicht lobpreise ich den Soundtrack aber auch nur, weil er meinen Geschmack von Musik sehr gut trifft).

Wer bei „The Bear“ eine spannende, sich ständig verändernde Geschichte mit Wendungen, Suspense oder ähnlichem sucht, der ist in den 10 Folgen eigentlich falsch. Staffel zwei handelt vom Sinn des Lebens und wie es ist, für ein Projekt zu leben, dass einen wirklich aus und erfüllt, dass einen besseren, weil zu seinen stärken findenden Menschen aus einen macht und das einen immer wieder an seine Grenzen bringt. Die Serie schafft es, wie in einem impressionistischen Gemälde aufzuzeigen, woher der Ehrgeiz eines Menschen kommen kann etwas zu erschaffen, das man so bisher noch nicht gemacht hat, sich zu verbessern und sich große Ziele zu stecken und immer wieder auf Hindernisse auf dem Weg zu treffen. Eine Serie, die auf die Sinnsuche der heutigen Lebenswelt eine Antwort parat hält, aber auch betont, dass die Suche immer weitergeführt werden kann, dass man niemals am Ziel ist, dass Hindernisse hinter jeder Ecke und nach jeder Selbsteinschätzung liegen können, dass sich dort aber auch Glück verbergen kann, ohne das man es vermutet hätte.
Zur Verdeutlichung dieser vielleicht zu blumig geratenen Ode, möchte ich kurz drei Folgen herausgegriffen. In Folge 4 „Honigtau“ wird Pattisier Marcus (Lionel Boyce) nach Kopenhagen geschickt, um seine Künste beim Herstellen von „High-End – Desserts“ zu verfeinern. Die Ruhe dieser Folge, ihre Optik und das Darstellen des Zubereitens von Süßspeisen lässt Nachtische in einem glanzvollen Licht erscheinen, als Verführung und als große Kunst. Das nebenbei Kopenhagen als wundervolle Stadt porträtiert wird, eben auch weil sie gern mal grau erscheint, ist ein weiterer bemerkenswerter und sehr liebenswerter Punkt.
Folge 6 „Fische“ toppt die atmosphärische Zeichnung nochmal, mit einem gigantischen Familienpanorama, dass chronologisch rund fünf Jahre vor der eigentlichen Haupthandlung der Serie zurückreicht. Wir erleben ein Weihnachtsfest der Familie Berzatto, das an Chaos, Peinlichkeiten und Streit kaum zu überbieten ist. Wir haben die launische Mutter Donna (Jamie Lee Curtis, absolut brillant!) die der Mittelpunkt der Familie ist, so wie ein Vulkan der Mittelpunkt einer Vulkaninsel ist und bei der man ständig mit einem Ausbruch rechnen muss, ohne zu wissen, was im Inneren passiert. Wir haben den großen Bruder Michael (John Bernthal), der die Rolle als Patriarch der Familie spielt, dessen äußere Souveränität aber zu bröckeln scheint. „Fische“ (welche in der Folge von der Mutter gekocht werden) inszeniert einen weihnachtlichen Super-GAU, eine detaillierte Fassung eines komplett katastrophalen Familienfestes, das man in dieser Dimension fast schon als episch bezeichnen kann. Doch auch hinter dieser Destruktion schafft es die Serie auch die eigenwillige Bindungskraft von Familien aufzuzeigen. Das führt zu einer Weihnachtsfolge, die sich jeder anschauen sollte, der der Meinung ist, Weihnachten bringe Stress und Missgunst in die eigene Familie.
Folge 7 „Gabeln“ beeindruckt, in welchem Cousin Richie (Ebon Moss-Bacherach) lernt, seine Stärken selbst zu sehen, indem er von Carmy (Jeremy Allen White) in eines der besten Restaurants der Stadt Chicago als Praktikant geschickt wird (und hier erstmal fleißig Gabeln polieren muss) und erst hier realisiert, dass seine Potentiale nicht in der Einschätzung anderer liegen, sondern in einem ungetrübten Blick auf die eigenen durchaus vorhandenen Fähigkeiten.
Carmy wiederum steht, wie für die Hauptfigur üblich, in allen Folgen im Fokus. Wir erleben bei ihm, wie er erstmals von seinem aus der enge der Familie selbstgewählten Lebensweg des Workaholics, auf die weiteren Möglichkeiten menschlicher Existenz zu schauen beginnt. Die Flucht des Seelenheils, die in der Erschaffung perfekter Speisen liegt wird für ihn erstmals hinterfragt. Was sonst, als die Liebe in einen anderen Menschen (Molly Gordon) sollte ihn dazu führen. Auch diese Beziehung ist großartig inszeniert; als die endlich erfüllte Sandkastenliebe, die Carmys größte Leidenschaft, das Kochen und seinen Sinn im Leben, hinterfragt. Der Rückzug auf seine eigenen, kontrollierbaren Stärken wird in Staffel zwei durch die Liebe zu einem anderen Menschen „tranchiert“ und das zu einem karrieretechnisch ungünstigen Zeitpunkt (aber sind nicht alle Zeitpunkte für einen Workaholic ungünstig?). Die zweite Staffel kulminiert dann an Carmys Kipppunkt seines Lebenssinns, wo er sich entscheiden muss, großartiger Koch oder verliebter Mann zu sein, wo seine Passion zum perfekten Mahl mit seiner Liebe zu einem Menschen scheinbar kein Miteiandern mehr kennen.[1]

Der geneigte Leser wird es bemerkt haben. Staffel 2 von „The Bear“ toppt nochmal die großartige erste Staffel und ist eigentlich nur perfekt zu nennende Serienunterhaltung, welche die Kunst ein wohlschmeckendes Essen herzustellen in die Kunst eine grandiose Serie auf die Leinwand zu bannen verwandelt. Diese Serie kann es zweifellos mit den Meisterwerken der letzten 20 Jahre aufnehmen.

[1] Ein kleiner Spoiler, den ich aber wegen der Großartigkeit der Idee erwähnen möchte: in der Kälte eines eingeschlossenen begehbaren Kühlschrankes brechen die (heißen) Emotionen aus Carmy heraus und er scheint zu bedauern, sich der Liebe zu Menschen und nicht zum Kochen hingegeben zu haben. Wie wunderbar ist hier das Setting, die Illusion eingeschlossen in einem kalten Schrank klar denken zu können und dann doch festzustellen, das kühle Gedanken doch immer wieder auf vermeintlich warme Leidenschaften und Emotionen treffen.

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