Filme und Serien können ihrem jeweiligen Schauplatz nicht nur zu größerer Popularität führen (so geschehen durch „Willkommen bei den Scht’is“ mit dem Städtchen Bergues bzw. der gesamten französischen Region Nord-Pas-de-Calais) sondern sie können unser Bild über diese Orte mit neuen Inhalten füllen, die Identität von Städten prägen und Plätze für uns vollkommen neu bebildern. „Sex in the City“ zeigt das Leben junger Frauen in „der“ Großstadt der westlichen Welt, New York. „Breaking Bad“ stellt die Schönheit, aber auch die Kargheit und Einsamkeit der Wüste um Albuquerque dar und seit den „Sopranos“ weiß man, das in New Jersey nicht immer ganz legal gehandelt wird. Das bisher aber beeindruckendste Porträt einer Stadt liefert „The Wire“ mit ihrem Schauplatz Baltimore.
In der 2.Staffel verlagert sich das Geschehen teilweise von der West Side an den Hafen. Während Avon Barksdale (Wood Harris) im Gefängnis zusehen muss, wie der Drogenverkauf in seinem Gebiet trotz intensiver Bemühungen seines Assistenten Stringer Bell zu Grunde geht, haben die ehemaligen Mitarbeiter der aus der 1.Staffel bekannten Sondereinheit, alle einen neuen Job bei der Polizei bekommen, zumeist in Positionen, deren Fallhöhe äußerst übersichtlich ist. Der Blick richtet sich auf Major Stan Valchek (Al Brown) der seiner polnischen Kirchgemeinde ein neues Glasfenster vermachen möchte. Leider ist er damit jedoch etwas zu spät dran, denn der Gewerkschaftsführer der Hafenarbeiter Frank Sobotka (Chris Bauer) ließ das von seiner Organisation gesponserte Fenster schon einbauen. Valchek wäre nicht ein egomaner und rachsüchtiger Polizist, wenn er das nicht vergelten würde und lässt eine Sondereinheit gründen, um Sobotka zu überwachen. Währenddessen fischt Jimmy McNulty (der sich der ihm verhassten Wasserschutzpolizei anschließen musste) eine tote Frau aus der Chesapeake Bay. Und als dann weitere 13 Tote Frauen in einem Container im Hafen auftauchen, muss auch die Polizei sich dem Fall intensiver annehmen (und ich darf als kleine persönliche Notiz anmerken, dass zu meiner Freude auch Staatsanwältin Rhonda Pearlman (Deirdre Lovejoy) wieder mitmacht.
Die 2.Staffel funktioniert, wie auch Staffel 1 wie eine abgeschlossene Handlung (man könnte als Neueinsteiger, also problemlos auch hier anfangen zu schauen). Diesmal weitet sich der Blick und man bemerkt das Baltimore eine Stadt mit Hafen ist, dessen Mitarbeiter allerdings die besten Jahre schon lange hinter sich haben und nun – um zu überleben, möchte man fast sagen – auch mit dubiosen Geschäftemachern wie dem „Griechen“ (Bill Raymond) oder seiner rechten Hand Spiros (Paul Ben-Victor) zweifelhafte Lieferungen ausmachen. Auch hier kommen beeindruckende Bilder (aufgenommen von Uta Briesewitz) vor, die sich mit den wunderbar dargestellten Charakteren (egal ob Polizei, Hafenarbeiter oder Drogenbossen) und dem sehr guten Skript (das nur zur Mitte der Staffel ganz leicht nachlässt, dann aber zum Ende hin wieder Fahrt aufnimmt) zu einer Serie verschmelzen, die düster ist, die so realistisch wie nie gesehen, Menschen und ihre Schicksale zeigt und die dadurch eine eigene Schönheit besitzt, die in dieser Form unerreicht ist. Ein Denkmal für die Hafenarbeiter Baltimores.