Nachdem ich begeistert „Das Leben der Wünsche“ beendet hatte, wünschte ich mir sehr, auch den dritten „Jonas“ Roman von Thomas Glavinic zu lesen. Wie gut das ich Geburtstag hatte und sich dadurch manche Wünsche (zumindest teilweise) erfüllen.
Bei den „Jonas“ Romanen handelt es sich um drei Bücher, bei denen der Hauptheld jeweils Jonas heißt und sich auch die Namen von einigen anderen Hauptfiguren wiederholen. Die Romane behandeln jeweils fundamentale menschliche Grundsituationen, in „Die Arbeit der Nacht“ Einsamkeit, in „Das Leben der Wünsche“ sind es Wünsche. „Das größere Wunder“ nun behandelt die Liebe (so hörte ich es aus dem Munde Glavinics, als ich vor 2 Jahren bei einer Lesung einen ersten Eindruck vom Buch bekam).
Jonas wächst mit seinem geistig behinderten Zwillingsbruder Mike, bei seiner alkoholkranken Mutter auf, die sich alles andere als um die beiden Jungen kümmert. Über Jonas besten Freund Werner lernt er Picco kennen. Dieser ist äußerst vermögend und nimmt Jonas und Mike auf, so dass er gemeinsam mit Werner aufwächst. Neben einer unerschöpflichen Menge von Geld gibt Picco Jonas mit auf den Lebensweg, dass Antworten im Allgemeinen überschätzt werden und so geht Jonas in das Leben hinaus, immer auf der Suche nach etwas, bis er schließlich am Mount Everest Basiscamp ankommt, um diesen zu besteigen.
Der Roman unterteilt sich einerseits in Kapitel die Jonas Biographie beschreiben und andererseits in den Aufstieg zum Everest. Diese Kapitel wechseln sich ab. Wir erfahren, dass Jonas auf seiner Reise durchs Leben Marie gefunden hat, welche füreinander bestimmt zu seien scheinen (wie in allen drei Romanen). Überhaupt ist das ein sich ständig wiederkehrendes Motiv aller Jonas Romane, die Liebe des Lebens, die Eine, die Einzige. Anders als in seinen anderen Romanen, betont Glavinic bei Jonas und Marie immer diesen fast schon grenz- und zeitlosen idealisierten Aspekt der romantischen, ja geradezu seelenverwandten Liebe. In „das größere Wunder“ wird das Thema der Liebe noch auf die brüderliche bzw. freundschaftliche Liebe erweitert, denn obwohl Jonas der Zwillingsbruder von Mike ist, erlebt er Formen wortloser Kommunikationen und eines stillen Verständnisses mit seinem besten Freund Werner.
Nach den hohen Erwartungen des letzten Glavinic Buches, war dieser Roman eine kleine Enttäuschung für mich. Zweifellos ist der Geschichte gut zu folgen und teilweise ist sie auch recht witzig und sehr häufig sprüht der Auto vor Ideen, aber sie entfachte einfach keine Begeisterung bei mir. Warum für mich „Das größere Wunder“ nicht so funktioniert, wie die anderen Jonas Romane, hat mit seiner zu großen Märchenhaftigkeit zu tun. Alle bisherigen Jonas Bücher haben ein Element, dass für die Handlung konstituierend ist, aber so in der Realität nicht vorkommen. Man könnte sagen, sie haben eine Komponente des Märchens innewohnend. Bei „Die Arbeit der Nacht“ wacht Jonas in einer Welt auf, in dem es plötzlich keinen anderen Menschen mehr gibt, außer ihm. In „Das Leben der Wünsche“ beginnt die Handlung mit dem Zusammentreffen von Jonas mit einem Mann, der ihm verspricht seine tief in ihm schlummernden Wünsche zu erfüllen. Es ist klar, dass sowohl eine Welt, in der plötzlich nur noch ein Mensch lebt, als auch die Tatsache einer Wunschfee wunderbare Brücken sind, um daran die Realität in der Jonas geworfen wird auszutesten. Sie sind quasi Hilfsmittel, um Einsamkeit (im Falle von der „Arbeit der Nacht“) oder unbewusste Wünsche (im Falle von „Das Leben der Wünsche“) näher zu analysieren. Bei „Das größere Wunder“ gibt es so ein bestimmendes fiktionales oder besser märchenhaftes Element nicht wirklich. Es gibt keine Abmachung mit dem Leser, dass man jetzt mal annimmt, es gäbe keine anderen Menschen mehr, oder alle Wünsche erfüllen sich. Und das wird in dem Moment problematisch, wo Glavinic eben märchenhafte Züge ins Leben von Jonas einstreut. Denn diese Einschübe wirken etwas willkürlich und Jonas kommt einen seltsam ferngesteuert vor, von einer nicht nachvollziehbaren Macht. Und das ist das Problem, denn diese Macht ist irgendwie zu schwach, um sie als Leser nachzuvollziehen, die Kraft des Märchens leitet Jonas, was aber bitte das Märchen sein soll, bleibt unter dem großen Deckmantel eines eher philosophisch anmutenden Begriffes der „Liebe“ unklar. Anders gesagt: „das größere Wunder“ ist ein Märchenbuch über die Liebe, deren Sinnhaftigkeit irgendwie dann doch ein unergründliches Wunder bleibt. Ich kann an dieser Stelle aber nicht ausschließen, dass das die Liebe ist.