Die wohl fundamentalste Frage, die man an sich selbst richten kann ist, wer bin ich? Lösen kann man diese Frage nie vollständig, ignorieren kann man sie zeitlebens. Aber wenn man sich dem Thema nähern möchte, kann man beispielsweise reflektieren, was man sich im (oder vom) Leben wünscht. Und hier sind weniger konsumistische (das neue Smartphone) oder punktuelle (dem Mann vor mir in der Schlange zur Kasse weniger Lebensmittel im Wagen) Wünsche gemeint, sondern das was tief in uns schlummert. Wünsche die wir vielleicht verdrängen, bei denen wir wissen, dass es Wünsche bleiben werden, die wir nicht für realistisch halten, oder vor deren Erfüllung wir gar Angst haben. Thomas Glavinic analysiert in seinem 2009er Roman „Die Welt der Wünsche“ genau dieses Szenario.
Wir erleben Jonas, denn der Leser schon aus dem Roman „Die Arbeit der Nacht“ kennt. Ob es der selbe Jonas ist, wie dort, spielt eigentlich keine Rolle. Jonas hat eine Frau, Helen, und zwei Söhne, Chris und Tom. Er arbeitet in einem eher mittelmäßigen Job, sein Vater sitzt nach einem Schlaganfall im Altenheim, seine erste Liebe und immer noch gute Freundin Anne ist unheilbar krank, seine Mutter schon lange Tod. Die Ausflucht und der Hoffnungsstrahl seiner Welt ist neben seinen Söhnen, Marie. Sie ist nicht nur seine Geliebte, sondern sie ist seine Bestimmung, der Mensch dem man unerbittlich, unendlich, einzigartig liebt. Ungünstigerweise ist auch Marie verheiratet und hat einen Sohn. Beide wollen für ihre Liebe, ihre eigentlichen Familien, ihr Umfeld, ihr gewohntes Leben nicht verlassen.
In einem Park trifft Jonas eine zwielichtige Person, der ihn um eine Sekunde bittet. Er weiß alles über Jonas, weiß von seiner Affäre, aber er will ihn nicht erpressen. Ganz im Gegenteil, er schenkt ihm drei Wünsche, was Jonas verwirrt. Aus ihm sprudeln eine ganze Reihe von Ideen heraus, jedoch beschließt er, dass er nur einen einzigen Wunsch hat, nämlich das alle seine Wünsche in Erfüllung gehen. Und so endet dieses Treffen und Jonas Leben geht weiter, so wie er es gewohnt ist. Langsam jedoch schleichen sich Veränderungen ein.
Ähnlich wie „Die Arbeit der Nacht“ ist Glavinic bei „Die Welt der Wünsche“ wieder existentiellen, man kann sagen philosophisch-anthropologischen Themen nachgegangen, nämlich der schon erwähnten Problematik, was Wünsche über uns sagen. Sind wir nicht auch das, was wir uns wünschen? Ist im Wunsch nicht unser Innerstes zum Ausdruck gebracht? Und sind unsere Wünsche nicht – manchmal zumindest – unfair anderen gegenüber, selbstsüchtig oder gar gefährlich? Aber sind sie nicht auch hoffnungsvoll und nach dem Wahren, Schönen, Guten strebend?
Glavinic gelingt diese Thematik, in ein wundervolles Buch zu verwandeln. Es ist kein Thriller, der vor spannenden Momenten platzt, trotzdem ist das Buch anziehend, man saugt jede Seite auf. Der Roman ist keine Komödie und trotzdem schmunzelt und lacht man häufig. Wichtiger ist aber, dass es ein Buch über uns ist, über unsere Wünsche (auch wenn diese individuell immer anders aussehen). Ein Roman auf dem Weg zur wunschlosen Glücklichkeit, der einen Leser zurücklässt der in die Versuchung gerät seine Wünsche zu greifen und doch weiß, dass dies unmöglich ist. Das beste Buch, dass ich dieses Jahr gelesen habe.