Auf die Idee, mal ein Buch von William Gaddis zu lesen, kam ich, als ich seinen Namen mehrmals im Umfeld der von mir so geschätzten amerikanischen Autoren Don DeLillo und David Foster Wallace wahrnahm. William Gaddis Erfolg als Autor setzte erst spät ein. Sein erster Roman „Die Fälschung der Welt“ wurde von der Kritik verrissen und hatte nur einen kleinen, dafür aber überzeugten Leserkreis gefunden. Mit seinem zweiten Roman „JR“ aus dem Jahr 1975 (rund 20 Jahre nach „Die Fälschung der Welt“) gelang ihm jedoch der Durchbruch. Darin wird ein 11-jähriger Junge ein Finanzmagnat. Freunde der Serie Dallas wissen vielleicht, dass Larry Hagmans Rolle „JR“ sich auf dieses Buch bezieht. Warum ich am Ende seinen vierten und letzten Roman „Letzte Instanz“ mir als Einstieg in sein Werk vornahm (erschienen im Jahr 1994), ist mir jedoch nicht mehr erinnerlich.
Die Form des Buches ist höchst ungewöhnlich. Weniger sind es die fast 720 Seiten, die nicht in ein einziges Kapitel unterteilt sind. Es ist mehr die fast ständig gebrauchte wörtliche Rede, die aber als solche nicht gekennzeichnet wird und bei der nicht erwähnt wird, wer etwas sagt. Also misslang mein erster Lesestart und ich legte das Buch nach wenigen Seiten in die Ecke. Doch nach einigen Monaten startete ich einen zweiten Versuch. Bewaffnet mit Stift und Papier schrieb ich mir alle Charaktere heraus, auf die ich in den ersten Seiten stieß und schon las sich „Letzte Instanz“ fast reibungslos.
Worum geht es? „Letzte Instanz“ ist das Portrait Amerikas als einer Gesellschaft, die nur noch in juristischer Auseinandersetzung lebt. Jeder scheint hier jeden verklagen zu wollen. Gerechtigkeit wird zu Recht. Im Mittelpunkt steht Oscar Crease, der auf Long Island das Leben eines Boheme führt und gerade beim Versuch, seinen Wagen mit dem Zündkabel zu starten, von seinem Gefährt überrollt wurde. Seine immer etwas nervöse Halbschwester Christina eilt ihm zur Hilfe und pflegt ihn. Natürlich klagt Oscar, wegen des an ihm entstandenen Schadens und er erkundigt sich immer wieder bei Christinas Mann Harry, einen vollkommen überarbeiteten Anwalt einer Nobelkanzlei, wie seine Erfolgsaussichten so sein. Oscars derzeitige Freundin Lily ist von Oscars Unfall nur wenig bedrückt. Ihre Besuche laufen zumeist auf die Abholung neuer Banknoten heraus, die sie für ihr Leben und ihren Scheidungsprozess benötigt. Als jedoch ein neuer Hollywood Schinken über den amerikanischen Bürgerkrieg in die Kinos kommt, wittert Oscar Betrug, denn die Handlung scheint sich sehr stark an seinem bisher unveröffentlichten, aber schon 20 Jahre alten Bühnenstück zu orientieren. Zeit sich einen weiteren Anwalt zu nehmen!
„Letzte Instanz“ ist weniger ein Gerichtskrimi, als eine gesellschaftspolitische Abrechnung mit dem Verständnis, dass Konflikte immer ans Gericht ausgelagert werden müssen bzw. das man sein Geld auch gut mit dem Verklagen anderer Personen machen kann. Das ganze Leben scheint sich immer mehr nur im Rechtssystem zu bewegen. Man spricht über nichts anderes mehr, man lebt dafür, vor Gericht Recht zu bekommen. Hier gibt es eigentlich immer nur einen Gewinner und das sind die Anwälte. Dabei ist „Letzte Instanz“ nicht immer einfach zu lesen und als Leser scheint man sich manchmal geradezu in die Untiefen des Rechts zu begeben, die mich manchmal langweilten oder auch überforderten. An anderen Stellen jedoch ist es ein humorvolles und sehr geistreich geschriebenes Buch, dass aber mit der angesprochenen Form eines fast endlos wirkenden Theaterstücks auch seine Längen hat und dessen gesellschaftliche Kritik hier in Europa nicht wirklich gespiegelt werden kann.